Audiatur et altera pars

Nachdem Alexis Tsipras ein Referendum angekündigt hat und nachdem daraufhin der Rest der Euro-Gruppe die Verhandlungen abgebrochen hat, ist medial das Urteil über Alexis Tsipras, Giannis Varoufakis und die Syriza-geführte Regierung gesprochen: Nicht nur konservative Politiker, für die das Regieren einer solchen Partei sowieso schwer erträglich ist, sondern auch Sozialdemokraten und jetzt auch journalistische Kollegen jenseits von Jan Fleischhauer und Paul Ronzheimer machen aus ihrem dringenden Wunsch nach einem Ende dieser Regierung keinen Hehl mehr. Der Brüsseler ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause sieht in den griechischen Linken keine Politiker mehr, die es noch würdig wären, in den Höhen der seriösen, verantwortungsvollen europäischen Politik mitmischen zu dürfen. Man müsste sie „zum Teufel jagen“, wünscht er sich. In jedem seiner Sätze und Gesten drückt er seinen Abscheu über Tsipras und Varoufakis aus; menschlich hat er mit ihnen gebrochen.

Rolf-Dieter Krause ist nah dran an der europäischen Politik. Wenn der sonst immer besonnene Brüssel-Korrespondent so eindeutig seine Genervtheit in seine Berichterstattung einfließen lässt, dann ist er sicherlich nicht leichtfertig dazu gekommen. Es muss also wirklich schlimm stehen um die Verhandlungsmoral der griechischen Seite in Brüssel,  um ihre Fairness und ihre menschliche Integrität. Ihre Verhandlungsstrategie, so erfahren wie vom Journalistenkollegen Krause, vom Kommissionspräsidenten Juncker, vom deutschen Finanzminister Schäuble, muss etwas niederträchtiges an sich haben, weil ihre Verhandlungspartner sämtlich tiefe  menschliche Enttäuschung zeigen, die kein Zurück mehr zu einem vertrauensvollen Miteinanderreden zuläßt.

Als jemand, der nicht so nahe dran ist am Geschehen und an den handelnden Personen, muss ich mich aus Medien informieren. Der Eindruck, den viele Zeitungen und Fernsehsendungen und die durch sie sprechenden Politiker vermitteln, scheint so eindeutig und gleichgerichtet zu sein, dass das Katastrophale, das irrweghafte der links-rechten Griechenregierung nicht nur eine Einschätzung zu sein, sondern durch ihre Massenhaftigkeit quasi objektiven Charakter zu erhalten scheint. Tspiras und Varoufakis haben so gehandelt, wie es moralisch objektiv inakzeptabel ist.

Ich gebe zu, dass mich diese Wucht der eindeutigen und vorherrschenden Aufgebrachtheit verunsichert. Die Verhandler auf der anderen Seite haben danach mit unendlicher Geduld und gutem Willen alles dafür getan, dass es eine gute Lösung für alle Seiten gibt – das bescheinigen sich die Politiker und die meisten Journalisten, die sie beobachten. Selbst jetzt ist bei den meisten dennoch Mitgefühl für das Schicksal der Griechen vorhanden, sagen sie uns, aber eben nicht mehr für diese Dilettanten und Lügner, die sie regieren.

Punkt.

Anders kann man es nicht sehen? Deutsche Politiker, EU-Politiker, sie sind aus einem anderen Holz geschnitzt; bei aller Rüdheit im politischen Kampf gegeneinander integer und ehrlich? Sie verfolgen mit dem, wie sie jetzt konzertiert scheinend Syrizas Regierungsvertretern das Vertrauen endgültig entzogen haben, nicht etwa irgendwelche anderen Agenden? Sie haben in sich nicht eine unüberwindliche Abneigung gegen „das Linke“ und sind froh über einen Anlass, es endgültig auflaufen zu lassen?

Das sind wirklich nur Fragen, die ich in mir habe; ein Rest Misstrauen, das sich in mir aufbäumt, da das Urteil so endgültig ist, und das Böse, das Tsipras und Varoufakis innezuwohnen scheint, mir gefühlsmäßig immer noch nicht plausibel ist.

Und in dieser Verunsicherung werde ich noch weiter verharren. Sie scheint mir gesünder zu sein. Verschiedene, widersprüchliche Seiten will ich hören.  Mich nicht endgültig für eine „Seite“ entscheiden. Deshalb möchte ich nicht nur dem geschätzten Kollegen Rolf-Dieter Krause zuhören, wenn ich mir ein Bild von dem machen will, was da gerade an schicksalhaft entscheidendem in Europa vorgeht. Und dem Rest der meist syrizakritischen Kommentierungen. Noch weniger Michael Spreng, für den Griechenland jetzt verdientermaßen in den Drittweltstatus abrutscht. Sondern: Auch Stimmen wahrnehmen, die eine ganz andere Sicht haben, und denen ich ebenfalls Kompetenz und Urteilsvermögen zuschreibe.

Wie Joseph Stiglitz. Oder Gesine Schwan, der eher konservativen Sozialdemokratin, die sich „klar auf die Seite von Tsipras, Varoufakis & Co.“ stellt.

Wollte ich nur mal gesagt haben – diese ernstzunehmenden Stimmen, die die Eindeutigkeit des Urteils über die griechischen Politiker der derzeitigen Regierung zumindest anzweifeln lassen, finden sich je nachdem ja nicht so leicht in der Flut der verdammenden Texte und Sprüche.

2 Gedanken zu „Audiatur et altera pars

  1. Dieser Kommentar beantwortet ja ganz gut, wie eine Hexenjagd funktioniert, wenn alle das sagen, kann es ja nicht falsch sein.
    Ich erinnere an das nahezu totale Versagen der deutschen Presse in der NSU-Berichterstattung, die das Otto-Brenner-Institut in der Rückschau nachweisen konnte. In der Griechenland-Causa ist es wieder dasselbe, man wird es auch belegen können, dann wird es leider zu spät sein. Es sind ja nur die deutschsprachigen Medien, insbesondere die deutschen, die diesen Rufmord an der griechischen Regierung begehen. So tief sind wir gesunken. Paul Krugman spricht von mafiösen Methoden, dazu hat er sich mit Sicherheit nicht einfach mal so hinreißen lassen. Man muss nur die Fakten ansehen: Das ist eine von persönlichem Hass geprägte politische Kaste, die hier gegen ein kleines schwaches Land agiert, das gefälligst untertänig zu sein hat. Es ist halt wie bei Napoleon oder Hitler und in vielen anderen historischen Situationen: Psychologisch gesehen wollen alle auf der Siegerseite sein, solange die Sieger eben siegen. In dem Moment hatten sie fast nur begeisterte Anhänger, hinterher wollte es wieder niemand gewesen sein und alle waren Widerstandskämpfer. Das hat eine wirklich unheimliche Dynamik.
    Gerade diese Brüssel-Korrespondenden geben nur unkritisch wieder, was ihnen die Politiker, die sie halt schon lange kennen, einflüstern, und sind eben auch verunsichert und schlagen sich halt auf die Seite derer, die ihnen vertraut sind und nicht auf die derer, die sie nicht kennen, die Neulinge, noch dazu ohne Macht. Das ist schon im Kindergarten so, dass das was neu dazu kommt, gern gemobbt wird.
    Hier sind ganz primitive Dynamiken am Werk und man sollte, um sich nicht anstecken zu lassen, sich immer wieder die Fakten vor Augen halten. Dieses Austeritätsprogramm ist furchtbar gescheitert, die schlechten Verlierer schlagen wild um sich und es ist ihnen egal, was alles zu Bruch geht.

    Dies ist ein sehr schönes Blog, lese hier sehr gerne! Liebe Grüße!

    • Danke, diese Antwort hat, finde ich, meine Gedanken noch interessant erweitert! Ich finde, manchmal muss man für sich ausprobieren, ob man sich vielleicht damit anfreunden kann, einfach mal das kritische Hinterfragen zu unterlassen und sich der Wucht der Wut über die Schwachen, gemeinsam mit so vielen anderen Wütenden, hinzugeben. Um auch verstehen zu versuchen, wie bei vielen Menschen in Berufen, die intellektuelle Verantwortung und Redlichkeit verlangen, alle paar Jahre kollektiv gewisse Sicherungen nicht mehr funktionieren.

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