Rosa von Praunheim 2004: „Selbst die Kirche findet die Hölle interessanter“

Der Film- und Theaterregisseur Rosa von Praunheim ist heute in Berlin verstorben. Er wurde 83 Jahre alt; erst vor fünf Tagen hatte er seinen langjährigen Lebensgefährten geheiratet. Geboren wurde er 1942 in Riga in Lettland; mit seinen Adoptiveltern kam er 1953 aus der DDR in den Westen. Er ging in Frankfurt zur Schule und studierte dann Malerei in Offenbach und in Berlin. Bevor er dann damit begann, weirde Filme zu drehen, wie 1971 die „Berliner Bettwurst“, in denen er sich seit den 70ern vor allem für die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben einsetzte. „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“, auch von 1971, trug seine Botschaft schon im Filmtitel. 

2004 kündigt er an, dass er einen Film drehen wollte, der von dem sogenannten „Kannibalen von Rotenburg“ beeinflusst sein sollte. Dieser „Kannibale von Rotenburg“ hatte in Deutschland und weit darüber hinaus für Aufsehen gesorgt. Armin Meiwes hatte einen Menschen bei sich zu Hause in Rotenburg-Wüstefeld erst verstümmelt und dann getötet. Danach hatte er sein Fleisch eingefroren und nach und nach Teile davon gegessen. Meiwes wurde Anfang 2004 zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Rosa von Praunheim wollte einen Film über diesen Fall drehen – die Filmförderung Nordrhein-Westfalen wollte ihn mit 20.000 Euro fördern.

Praunheims Filmprojekt erregte deshalb 2004 in Hessen, wo der Kannibale sein Verbrechen begangen hatte, die Gemüter.

Meiwes‘ Rotenburger Anwalt bezeichnete es als „geschmacklose Wichtigtuerei“.

Der damalige Rotenburger Bürgermeister Manfred Fehr (SPD) hielt eine solche Tat nicht für geeignet, sie, in welche Form auch immer, auf die Leinwand zu bringen.

Während des ersten  Prozesses gegen Meiwes in Kassel hätten zahlreiche Fernsehsender – wie CNN, aber auch das thailändische oder russische Fernsehen in Rotenburg gedreht. Das Licht, das diese Tat, eines Einzelnen, von der niemand in Rotenburg irgendetwas hatte ahnen können, auf seine Stadt warf, war dem Stadtoberhaupt natürlich sehr unwillkommen.

Von Praunheim veröffentlichte seinen Film dann zwei Jahre später tatsächlich: „Dein Herz ist mein Gehirn“ war der Titel. Er verteidigte damals, 2004, sein Absicht, den Film zu machen, auch gegenüber mir – ich machte damals einen Radio-Beitrag für den hr über diese Diskussion.

Harald Ermel, der Anwalt des Kannibalen, wollte keine Veröffentlichung zum Leben des Kannibalen autorisieren, bevor das Urteil nicht rechtskräftig war. Filmemacher Rosa von Praunheim hielt dem entgegen, dass Armin Meiwes eine Person des öffentlichen Lebens sei, da habe man als Künstler „gewisse Freiheiten“.

Außerdem, so der Berliner Regisseur, sei der Fall aus Rotenburg nur einer unter mehreren Anstößen für seinen Film. Er beschäftigte sich damals schon seit 20 Jahren mit dem Thema, sagte er. Auch in unserer Kultur gebe es viele Reste von Kannibalismus: Etwa in dem Ausspruch „Ich hab‘ Dich zum Fressen gern“; oder in der Kommunion in der katholischen Kirche.

Der hessische CDU-Landtagsabgeordnete Axel Wintermeyer kritisierte, dass der geplante Praunheim-Film „einem perversem Straftäter ein Denkmal“ setze; er befürchtet eine „mediale Ausschlachtung“ des Falles Meiwes . Von Praunheim aber hielt es für legitim, das Thema zu verfilmen: Selbst in der Kirche werde die Hölle immer interessanter als der Himmel geschildert. Das sei ein dramaturgisches Prinzip. In Geschichten über ungewöhlich Kriminalfälle könnten die Menschen Bedürfnisse ausleben, die sie sich sonst nicht zugestehen würden.

Auch die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen sah das ähnlich. Sie würde ihren angekündigten Zuschuss für den Film von 20.000 Euro nicht zurückziehen, verdeutlichte der Geschäftsführer der Filmstiftung NRW Michael Schmidt Ospach damals gegenüber dem hr. Es sei erstaunlich, meinte Schmidt-Ospach, wie schnell Urteile über den Film gesprochen würden, vor allem von Leuten, die nichts getan hätten, als die Presse voll gewesen sei von den abscheulichen Einzelheiten des Rotenburger Kannibalismus-Falles.

Armin Meiwes hatte die Tat, für die er verurteilt wurde, 2001 begangen. Sie wurde allerdings erst im Dezember 2002 entdeckt. Im ersten Prozess vor dem Landgericht Kassel wurde er nur zu acht Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe wegen Totschlages verurteilt. Diese Verurteilung hob der Bundesgerichtshof nach Revision der Staatsanwaltschaft auf. Nach einer neuen Hauptverhandlung verurteilte das Landgericht Frankfurt Meiwes zu lebenslanger Haft wegen Mordes.

Weil Rosa von Praunheim ja keinen Dokumentarfilm über den „Kannibalen von Rotenburg“ drehen wolle, plante er auch nicht, aus Berlin nach Rotenburg-Wüstefeld kommen, um sich den Ort des Verbrechens anzusehen: Er fühle sich sehr wohl da, wo er war. Auch dort gebe es genug Kannibalen, die „im Verborgenen“ lauerten; er habe, scherzt von Praunheim, „extra abgenommen, dann bin ich nicht so attraktiv für die Kannibalen“.

(Makabrerweise war allerdings das Opfer von Harald Meiwes ein Berliner, der damals nach Rotenburg gekommen war, nachdem beide sich über ein Internet-Forum kennengelernt hatten.)

Dass aber die Bedenken von Meiwes‘ Anwalt rechtlich durchaus Gewicht hatten, zeigt der zweite Film, der 2006 über den Fall fertig wurde. Er hieß „Rohtenburg“ und erzählte tatsächlich näher an der wirklichen Geschichte einen vergleichbaren Fall wie den des „Kannibalen von Rotenburg“. Regisseur war Martin Weisz, Hauptdarsteller Thomas Kretschmann. Das Oberlandesgericht Frankfurt untersagte per einstweiliger Verfügung den für März 2006 geplanten Filmstart; dieses Verbot wurde erst drei Jahre später vom Bundesgerichtshof aufgehoben und dieser Film kam erst da in die Kinos.

Rosa von Praunheims Film hatte allerdings keinen solchen Ärger mit den Gerichten.

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