„iθ ne Kadaver!“ Der weiße Hai wird 50

Am 20. Juni 1975, genau vor 50 Jahren, veröffentlichte Universal Pictures den Film „Der weiße Hai“ des damals erst 28 Jahre alten Steven Spielberg. In die deutschen Kinos – natürlich abzüglich der DDR – kam er erst im Dezember 1975. Sehen durfte man ihn ab 16 – genau dieses Alter hatte ich, und nachdem ich ihn in einem Kölner Kino gesehen hatte, schrieb ich die erste Filmkritik meines Lebens, für Ausgabe Nummer 6 (Februar 1976) unserer Schülerzeitung am Gymnasium Köln-Chorweiler „Die Brille“.

Ich habe, als ich las, dass das alles ein halbes Jahrhundert her ist, das Blättchen, das im Keller vor sich hinmoderte (Ausgabe 1 bis 6 waren noch vollständig erhalten), hervorgekramt – und muss sagen: Nein, der Artikel war kein Frühwerk, das schon den eleganten Ton eines später renommierten Feuilletonisten (der ich nie wurde) erahnen ließ. Aber auch nicht so schlimm, dass er nicht doch eine gewisse naseweise Analysefähigkeit aufwies:

Eine leidliche stimmige Zusammenfassung dessen, worum es in dem Film ging. Eine gewisse Kenntnis des Genres des Katastrophenfilms, erlangt in vorherigen Besuchen aktueller Produktionen wie „Flammendes Inferno“ oder „Erdbeben“ und sogar auch von älteren Werken wie „King Kong und die weiße Frau“ aus den dreißiger Jahren.

Beim Vergleich mit diesen stellte ich Gemeinsamkeiten fest, aber auch den Unterschied, dass es sich hier einmal „nicht um einen reinen Actionfilm“ handelte. Sondern: dass der Film auch politisch war! Weil er einen bösen Bürgermeister vorführte, der aus rein wirtschaftlichen Interessen die Gefahr zu vertuschen versuchte, die von dem vorher noch nie aufgetauchten, mörderischen Riesenhai ausging. Und dass ich dann aber tollkühn mit meinen jungen knapp anderthalb Jahrzehnten Lebenserfahrung es wagte, einen ästhetischen Bruch, eine Inkohärenz im Material festzustellen: Guck an, am Ende, im von mir konstatierten „zweiten Teil“, ging es nur noch um die „spannende“, nervenaufreibende Jagd, den mörderischen Kampf mit der zeitweise überlegen scheinenden Bestie, bis sie dann doch besiegt wurde.

Und der sich so fatal geirrt habende Bürgermeister und die übermächtigen kapitalistischen Profitinteressen wurden gegen Ende nicht noch einmal in einem „Siehste, die Guten hatten doch Recht, und jetzt schäm dich und tue Buße; gib zu: es geht im Leben nicht nur um Geld, Gier und Gewinn!“ vorgeführt, sondern das Ende war jäh: Hai tot, Film zu Ende.

Eine fehlende Klammer, die ich als Mittel in den vielen Jahrzehnten danach durchaus zu akzeptieren begann, weil solche jähen Ende schon länger fast jeden Sonntag einen Tatort abschließen, was man dann auch gutheißt: „Ach ja, ist ja alles gesagt, ich kenne Mörder und Motiv, machen wir einfach Schluss.“

Ich dagegen musste unbedingt alles klassisch „rund“ machen, per Klammer Anfang und Ende zusammenbinden, ein schlaumeierisches „Fazit“ ziehen und gönnerhaft den Film als „leichte Unterhaltung“ empfehlen.

Doch auch im Nachhinein muss ich mich nicht schämen, so altklug auf die jedem offensichtliche Geschichte des unsympathischen Bürgermeisters des Badeortes verwiesen zu haben. Was ich nicht wusste und erst jetzt erfuhr: Der kommunistische kubanische Staatschef Fidel Castro sah in diesem Film „Der weiße Hai“ mit seinem leicht verständlichen, fast schon viel zu grob und aufdringlich gezeichneten Gut-Böse-Schema eine «wunderbare Parabel auf die Korrumpiertheit des Kapitalismus». Wer nicht?!

„iθ ne Kadaver“

Übrigens: Meine stärkste Erinnerung an meinen Kino-Besuch im „Weißen Hai“ blieb fast 50 Jahre lang diese: Ein kölnischer Junge, der in der Reihe vor mit saß, sagte, als der schließlich besiegte Hai sich ein letztes Mal aufbäumte und dann im Wasser verschwand, hörbar beeindruckt, mit dem -s- in „is“ gelispelt: „Is ’ne Kadaver!“ („iθ ne Kadaver“). Eine falsche Verwendung des Wortes „Kadaver“, die mich in höchstem Maße beeindruckt, irritiert und so höchst amüsiert hat, wie mich nur wenige andere lustige Sprach-Abusuus später amüsiert haben. Und es gerade jetzt erneut wieder tut.

 

 

 

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