Wahlkampf-Nichtigkeiten – Tagebuch

Wahlkampf: Irgendwas ist immer, aber ist es interessant? Von Liminski über Grünen-Unterstützer BDI, Horserace-Journalismus bis zur „Welt“-Erkenntnis: Durch Erderwärmung sterben weniger Menschen an Kälte.

Es gibt jeden Tag irgendwas über den Wahlkampf. Wie sehr „Katholiban“ ist Nathanael Liminski, Armin Laschets derzeitiger Chef seiner Staatskanzlei in Düsseldorf? Klar, ein Aufreger, weil man ja nicht wissen kann, ob der irgendwie auch mal „Opus-Dei“-nahe Katholik Liminski sein „Mitleid“ für Homosexuelle aus dem Jahr 2007 immer noch hat oder ob er mittlerweile ein überzeugter, toleranter Zeitgenosse geworden ist, der eine solch alte, konservative, von der toleranten Lebenswirklichkeit bis hinein in seine CDU mittlerweile zu Recht überkommene Haltung abgelegt hat, vielleicht sogar innerhalb von anderthalb Jahren:

 

Immerhin kann man ja fast dem zustimmen, was Liminski am 31. August 2009, vor 12 Jahren also, in dem von Beatrix und Sven von Storch herausgegebenen Blog „Die Freie Welt“ geschrieben hatte:

„Die Menschen merken jedenfalls langsam, dass die CDU sich über die Ziellinie schleichen will, ohne ihnen Antworten auf die drängenden Fragen zu geben, geschweige denn Einsatz gezeigt zu haben“.

Das würde er heute wohl, schon seinem Chef, dem Kanzlerkandidaten Armin Laschet zuliebe, nicht mehr sagen, und wohl auch nicht mehr in Blättchen oder Blogs der AfD – der Partei, die es damals ja noch gar nicht gab, obwohl die von Storchs wohl auch damals schon so tickten wie heute.

Also, man hat sich daran gewöhnt: Der Bundestagswahlkampf 2021 scheint letztlich auch nicht anders als die Wahlkämpfe davor zu sein. 2013 war es Peer Steinbrück, der angeblich ins Fettnäpfchen getreten war, weil ihm ein Glas Wein für € 5,00 zu billig war, der Berlusconi einen „Clown“ genannt hatte oder, für bestimmte Situationen getrennten Sportunterricht für Jungen und Mädchen vorgeschlagen hatte (wie es auch die Islamkonferenz 2009 mit CDU-Teilnehmern beschlossen gehabt hatte), der ziemlich früh angeschossen war. 2017 war es Martin Schulz, der (hm, warum eigentlich? Wohl, weil seine Partei es vergeigt hat) nach einem ersten Höhenflug in den Umfragen auch kein Bein mehr auf den Boden bekommen hatte. 2021 ist es Bündnis’90/ Die Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock, die das Schicksal der beiden SPD-Kanzlerkandidaten der Vorjahre zu teilen scheint.

Aber dann denkt man sich: So sind wir Deutschen halt, konservativ, tendieren manchmal schnell zu was anderem, warum nicht mal jemand wie den Schulz oder die Baerbock, wir sind ja auch mehrheitlich gegen Atomenergie, für einen Kampf gegen den Klimawandel, die Ehe für alle. Aber dann denken wir wieder – „hey, die hat ja was abgeschrieben“, „hey, irgendwie passt mir der dann doch nicht so, wenn ich es mir so recht überlege“, „hey, was? Der will getrennten Sportunterricht, ist der am Ende sogar ein Islamist?!“ Warum dann nicht doch nochmal die Merkel, da sind wir auf der sicheren Seite, die fährt auf Sicht, ist nicht korrupt, sagt allerdings auch komische Sachen („Internet ist Neuland“), aber wenn mal eine Krise ist, dann kriegt sie die irgendwie geregelt.

CDU wird in Deutschland eigentlich fast immer gewählt, denen verzeiht man auch eher Fehler. Wenn dagegen aus irgendeinem Grund jemand aus der linkeren Ecke kurzzeitig auf der Siegerstraße scheint, reicht eine kleine Irritation, und zack: ist es schon wieder vorbei damit, und man denkt: Jetzt doch, sicherheitshalber, warum auch immer, lieber die. Da musste es 1998 schon so einen großen Überdruss mit einem Dauerkanzler Kohl geben, dass das Momentum für Schröder reiche. Und einen Wahlkampfapparat, der sich mit Glück keinen groben Fehler leistete.

Jetzt allerdings ist die Alternative nicht Merkel, sondern Laschet. Dem hatte man erstmal seinen auch nicht ganz korrekten Lebenslauf noch nachgesehen, denn da nahm die aufgeregte Jagd auf Baerbock noch die ganze Recherche-Energie in Anspruch: „Da stimmt was mit dem Studium nicht, hier noch eine Stelle, da noch eine abgeschrieben; sie hat ‚Scheisse‘ gesagt“.

Aber jetzt ist er wegen allem möglichen auch nicht mehr erste Wahl. Und war es auch von Anfang an nicht. Dann lieber den Scholz? Wirecard und Cum-Ex – das sind so Skandale, sowas kennt man von unseren Politikern: wenn er ansonsten eine gute Figur macht, dann spricht das nicht groß gegen einen. Baerbock nimmt eigentlich Scholz aus dem Schussfeld, in das seine drei S-Vorgänger (Steinmeier, Steinbrück, Schulz) sämtlich geraten waren. Eine Chance, jetzt quasi den eigentlich traditionellen CDU-Vorteil, auch aufgrund von Laschets mäßiger Performance, zu nutzen. Die unüberwindliche Hürde scheint aber zu sein: Scholz würdens halt schon wählen wollen, aber: SPD: das bringen viele nicht mehr über sich.

Die Befassung mit Annalena Baerbocks Buch, in dem sich keine weiteren Plagiate mehr finden und ausschlachten lassen, macht Journalisten auch keinen Spaß mehr. Nur den ganz harten, den eisernsten Warnern vor dem in jeder Hinsicht unsympathischen Grünen-Geschmerl. Wie der „Chefreporterin Freiheit“ der Tageszeitung „Die Welt“, die aber dennoch niemals auf die Idee käme, ihre journalistische Reputation durch Einseitigkeit oder gar eine von Ressentiments befeuerte Kampagne in Verruf zu bringen:

Nein, sie kann halt einfach nicht anders. Aber damit damit liesse sich die Kampagne, hätte es sie je gegeben, auch nicht mehr anfachen.

Jetzt droht zwar gerade langweilige deutsche Wahlkampfroutine einzukehren. Aber: irgendwas existenzielles lauert da. Könnte das, was seit über 100 Jahren über eine gefährliche Erwärmung der Erde gesagt wird, doch wirklich und tatsächlich schlimm werden? Und dann ist auch noch die Merkel weg? Und dann plötzlich diese Flutkatastrophe? Und die Waldbrände weltweit? Hm… könnte schon sein, dass man sich das jetzt wirklich mal genauer anschauen müsste!

Am Anfang dieses Wahlkampfes versuchten es Union und SPD noch auf die ganz platte Tour: Klimawandel, schön und gut, schon ein bisschen wichtig, aber die Grünen wollen Inlandsflüge VERBIETEN! (wollten sie übrigens nicht).

Jetzt sagte Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) zur dpa, sie schließe nicht aus, „dass Flüge innerhalb Deutschlands zugunsten eines Ausbaus im öffentlichen Personenverkehr beendet werden oder der CO2-Preis für Emissionen heraufgesetzt wird“.

Sogar der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI ist nicht einverstanden mit dem müden unterkomplexen Rennen um die meisten Stimmen mit Einfachstparolen von kurzer Halbwertzeit; er ist sogar besorgt über „die bisher schwache inhaltliche Auseinandersetzung in diesem Wahlkampf„:

Klar: letztlich will der BDI anständige Konzepte für die Zukunftsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland (heisst: CDU, CSU und FDP), aber diesmal gerne mit Grünen dabei, also „Jamaica“, denn: es stellten sich „gewaltige Herausforderungen“, wie etwa „die Corona-Krise, der Klimawandel und die internationale Zusammenarbeit“.

Der Klimawandel, er wird so langsam zum Thema. Und Grüne wären irgendwie dann doch ganz gut in der Regierung, aber schon unter Kontrolle von Profis wie Laschet, *räusper*. Das wäre doch aber dann irgendwie eine Art „schwarz-grünes Projekt“, oder? Zu dem ihn der BDI da drängen will – denn wenn der sich eine Grünen-Beteiligung an einer CDU-geführten Regierung wünscht, dann ja deshalb, weil die grünen Ideen gegen die Klimakatastrophe wirkungsvoll eingebracht werden sollen. Und vielleicht auch noch andere Punkte, wie die dazugehörigen 500 Milliarden Euro, die die „Ökopartei“ für die Umstellung Deutschlands auf eine CO2-freie Gesellschaft ausgeben will. Aufträge und zeitgemäße, zukunftsfeste Infrastruktur für die Deutsche Industrie – bei allem nach wie vor vorhandenen kulturellen Fremdeln hat man die Idee einer Green Economy in der deutschen Wirtschaft längst als den richtigen Weg eingesehen, denke ich.

Die Coolness („macht mal halblang, nur keine Klima-Hysterie“) schwindet, die Einschüsse kommen immer näher: eine wirklich katastrophale Flutkatastrophe bei uns, Super-Waldbrände in unseren Urlaubsparadiesen Griechenland, Türkei, Italien und nicht „nur“ im fernen Sibirien, Kalifornien und Brasilien. Das kostet auch alles Geld. Das obligatorische konservativ-liberale Gerede von „Steuern senken“, „Haushaltsdiziplin“, „schwarze Null“ wird leiser und kommt eigentlich nur noch von Christian Lindner und seiner FDP, was immerhin für 12% in den Umfragen gut ist. Der BDI hatte schon im Juli seine ihm verbundenen Christdemokraten gewarnt:

Zukunftsinvestitionen: nach der Milliarden teuren Corona-Pandemie, den Milliarden für den Wiederaufbau der von der Flut zerstörten Brücken, Straßen, Schienen, Häuser, Schulen, Stromleitungen und den Abermilliarden für den Umbau auf eine CO2-freie Wirtschaft würden sich ja alle lächerlich machen, wenn sie jetzt eine Sparpolitik, Steuersenkungen und einen schlankeren Staat versprechen würden. Das ist Marktideologie, die in besseren Zeiten, wenn alles zumindest äußerlich noch ganz gut in Schuss zu sein scheint, vielleicht Wählerstimmen an Stammtischen bringen könnte. Nicht jetzt.

Tja, dann gab es noch die Diskussionen um das „ZDF-Sommer-Interview“ mit Robert Habeck. Ich empfand es nicht als so schlimm wie viele Kritiker*innen. Natürlich musste Shakuntala Banerjee ihn nach der peinlichen Nichtzulassung der Grünen-Landesliste im Saarland fragen, und all dem anderen, was eben im Grünen-Wahlkampf nicht so gut läuft, gelinde gesagt.

Allerdings war es eben ein Interview, wie es öde Tradition nicht nur in Deutschland ist:  „Horserace-Journalismus“ eben, der den Wahlkampf danach beobachtet, wie sich die Kandidat*innen schlagen, wie sie schwächeln, zurückfallen, Schwächen der Gegner ausnutzen. Und dabei geht es um winzigste, nicht bösartige, irrelevante Fehler im Lebenslauf, „Scheiße“- sagen („OMG“, echt jetzt?), an denen man dann abzulesen können glaubt, wie belastbar jemand dann später im angestreben Amt sein würde und ob er solcher Kritik überhaupt standhalten könnte. Angela Merkel hat man selbst in ihrer eigenen Partei, bevor sie es dann 2005 doch wurde, auch keine Kanzlerschaft zugetraut; nicht nach dem, wie sie sich in ihrem öffentlichen Auftreten gegeben hatte.

Insofern kann man, selbst als Journalist, ein wenig mit einem Befragten wie Robert Habeck mitfühlen, wenn er Fragen geduldig beantwortet, aber irgendwann genervt davon ist, dass er kaum über die Themen seiner Partei, allem voran über den Umgang mit dem Klimawandel, sprechen kann. Das heisst ja nicht, dass man ihm dann eine Plattform für Wahlwerbung bieten muss; und natürlich sollte man sich als Interviewer*in akribisch vorbereitet haben, um den Interviewten mit den Widersprüchen, der Frage der Realisierbarkeit, und dem Sinn oder Unsinn des Wahlprogramms konfrontieren.

Andererseits aber: Als Interviewter muss man sich letztlich alle Fragen gefallen lassen, und wie man die Fragen pariert,wie man sie beantwortet, sagt natürlich auch etwas darüber aus, was für eine Person dann mit in die Verantwortung in einer Regierung ginge, wenn sie denn nach der Wahl Teil einer solchen werden kann – womöglich sogar mit einer Kanzlerin aus der eigenen Partei.

Tja, jetzt ist gestern noch der IPCC-Bericht vorgestellt worden. Die Erderwärmung schreitet tatsächlich so voran, wie die Wissenschaft es schon seit Jahrzehnten immer wieder sagt. Es gibt da eigentlich kaum mehr einen Spielraum, der einem sagen könnte: Es geht auch ohne einen ziemlich drastischen und sehr ehrgeizigen und schnellen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen.

Aber ob die Parteien denken, sie sollten uns Wähler*innen genau das versprechen, oder ob sie denken, für Stimmen müssten sie uns irgendwelche anderen schönen Dinge auftischen: Da kann man in den kommenden wenigen Wochen nicht sicher sein.

Warum ich da so etwas ahne? Nun: Da ist der „Welt“-Wissenschaftsredakteur Axel Bojanowski, der sich selbst als Klimatologe versteht. Er weiss um die überwältigende Einigkeit der zuständigen Wissenschaftler, dass die globale Erwärmung nicht zu leugnende große, existenzielle Gefahren für die Menschen auf unserem Planeten bringt, wenn man diese Erwärmung nicht endlich stoppt. Dennoch schreibt er einen Artikel, in dem er versucht, dies einerseits zu bestätigen (weil es einfach auf der Hand liegt), dennoch aber sprachlich beim Leser emotionale Zweifel zu verankern, dass es vielleicht doch alles nicht so schlimm ist.

Das Unwissen der Experten“ heisst sein Artikel zum UN-Klimabericht, in dem er hin- und herpendelt – man müsste den ganzen Artikel lesen, um zu verstehen, was ich meine. Nur zwei Beispiele: Der Klimabericht enthält verschiedene Szenarien, die mal schlimmer, mal weniger schlimm, aber immer schlimm ausfallen:

„Abgesehen von den übertriebenen Szenarien, gibt das neue Resümee den Sachstand zum Klimawandel aber mit den verbleibenden Szenarien in seriöser Weise wieder“.

Einige der Szenarien sind also „übertrieben“ – dabei sind es eben Szenarien, und Bojanowski räumt ein (sonst machte er sich zum Gespött aller seriös arbeitenden Wissenschaftler), dass eben der Sachstand wiedergegeben wird.

Und das Resümee des IPCC, den Sachstand, gibt er so wieder:

„Es legt plausibel dar, dass sich die Menschheit wohl auf weitere zwei Grad Erwärmung einstellen muss, mit zunehmender Hitze, Gletscherschmelze und einem Meeresspiegelanstieg, der auf Jahrhunderte hinaus bedrohlich werden dürfte. Örtlich werde sich auch das Dürrerisiko verschärfen – wo genau, lässt sich mit Klimamodellen allerdings bislang meist nicht glaubwürdig klären“.

„Auf Jahrhunderte hinaus“ – ziemlich verschleiernde Sprache: wird es erst in einigen Jahrhunderten bedrohlich, oder tritt das Schlimme mit den zwei Grad schon 2040, 2050, 2060 ein? Soweit ich weiss, erwartet man das eigentlich allgemein in der Wissenschaft.

Ja, und es wird sich das Dürrerisiko „verschärfen“, „örtlich“ halt, das heisst: irgendwie begrenzt und wahrscheinlich woanders, „örtlich“ hat immer was zufälliges, wird schon andere treffen, vielleicht in Afrika, da ist sowieso immer irgendwie Dürre. Und ein Dürrerisiko, das sich verschärft, ist ja auch noch gar keine Dürre.

Und dann hat ja eine Erwärmung der Erde auch Vorteile für den Klimatologen der „Welt“:

„Gute Nachrichten verstecken sich zwischen den Zeilen. Dass Kältephasen weniger werden, bedeutet weniger Todesopfer – an extremer Kälte sterben bislang weitaus mehr Menschen als in Hitzewellen“.

Es werden weniger Menschen durch Kälte sterben – das verschweigen die ganzen anderen Mainstream-Klimatologen!

Rein theoretisch also könnte die „Welt“ eine Kampagne machen (was ja nicht ihre Art ist!), um den Grünen im Wahlkampf ihr Klimawandel-Thema zu verderben, ohne dass CDU und CSU in die Verlegenheit kämen, die Gefahren der Erderwärmung herunterzuspielen.  Die winkeladvokatischen Verdrehungs- und Verschleierungsmechanismen, die man dazu bräuchte beherrscht ihr Haus-Klimatologe durchaus.

Und er würde damit vielleicht nicht nur die wenigen „Welt“-Leser erreichen, die die Grünen im Zweifel sowieso alle gefressen haben und nicht mehr bekehrt werden müssen. Herrn Bojanowski habe ich kürzlich auch bei Lanz gesehen – und aus Gründen der Ausgewogenheit wird er sicher auch noch öfter auch in anderen Medien auftreten können.

Wahlkampf, das wird mir in diesem hier, 2021, erstmals so richtig klar, ist viel zu wichtig, als dass man ihn den Parteien überlassen darf. Da selbst die Union mittlerweile die Grünen nicht ganz verprellen darf (sagt der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI!), muss den Klartext mal wieder das sympathische Verlagshaus aus der Hauptstadt übernehmen. Natürlich wird es das nicht tun, so etwas möchte ich nicht unterstellen! Die originellen klimatologischen Erkenntnisse gehören alleine diesem Verlag, das hat nicht mit dem Wahlkampf zu tun!

 

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