Fettnäpfchen-Journalismus – eine Jahresanfangsreflektion

Mental noch im Übergang von 2013 nach 2014, kam mir gerade der Gedanke: Was ist eigentlich mit all den Aufregern, die dazu geführt haben, dass SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück letztes Jahr so grandios gescheitert ist?

Bestellen manche meiner Journalisten-Kollegen immer noch nur ganz verschämt beim Italiener ein Glas Wein für teure € 6,50? (Geschämt haben sie sich natürlich in Wirklichkeit nie.)  Empört sie immer noch so der (verharmlosende) Vorwurf gegen den mittlerweile verurteilten Steuerhinterzieher Berlusconi, dieser sei „ein Clown“? (Empört hat es sie in Wirklichkeit natürlich nie.) Glauben sie immer noch, es sei ein „Fettnäpfchen“, wenn man, gefragt nach getrenntem Sportunterricht für Jungen und Mädchen, den Stand des Beschlusses der Islamkonferenz aus dem Jahr 2009 wiedergibt?

Ärgert sich der eine oder andere von ihnen, dass er dann aber nach der Reaktion der Kanzlerin, ihrer Integrationsbeauftragten und anderer Unionspolitker keine exklusive Schlagzeile produziert hat: „Merkels Kehrtwende: Ergebnis der Islamkonferenz ist ‚völlig falsches integrationspolitisches Signal‘!„?

Natürlich nicht. Es scheint nicht nur in der Politik, sondern auch im Journalismus (immer mehr?) eine Haltung verbreitet zu sein, die besagt: „Mein Geschwätz von gestern? Ihr wollt doch wohl nicht wirklich, dass ich mich später nochmal damit befasse? Die Sache mit dem Sportunterricht hat uns doch nach zwei Tagen schon nicht mehr interessiert, weil sie hinten und vorne nicht stimmte. Das mit den Fettnäpfchen aber hat ja wohl jeder von uns geschrieben. Und Merkels Kehrtwenden? Die haben wir ja öfters aufgespießt, das ist an ihr abgeprallt, das macht jetzt keinen Spaß mehr“.

Tja, so ist es eben. So ist der Journalismus, der in Teilen wie die Politiker selber ist. Die Politiker, die er doch beobachten soll, deren Aussagen und deren Handeln er kritisch überprüfen und hinterfragen soll.

Die meisten Politiker verwenden Argumente ja nicht, weil sie völlig von dem überzeugt sind, was sie zu einem Thema sagen, sondern weil sie glauben, dass sie sich einen Vorteil einhandeln können, wenn sie sich auf die eine und nicht die andere Weise einlassen.

Das ist so, das muss man als unabänderlich hinnehmen.

Da ist Politik wie Sport: Gewonnen ist gewonnen, auch wenn man das 1:0 vielleicht nicht verdient hat.

Leider aber haben viele in den Medien, fürchte ich,  mehr oder weniger unbewusst vor dem Politiker Hochachtung, der sich mit Frechheit, Halbwahrheit und Aussitzen durchsetzt. Dem läßt man vieles durchgehen.

Als Objekt journalistischen Jagdfiebers eignet sich leider leichter das schon angeschossene Wild.

Auch wenn dann, ist es dann wirklich erlegt worden, hoffentlich ein schales, mit Scham vermischtes Gefühl zurückbleibt.

Dass sich manch einer unwillkürlich schämt, ist vielleicht der Grund dafür, dass ich in letzter Zeit in keinem Zusammenhang mehr das Wort „Fettnäpfchen“ gelesen habe.

Und übrigens: Die Forderung, dass „wir“ Politiker wollen, die „Klartext“ reden, wie es ja anscheinend der Peer Steinbrück einer sei, das war auch nur eine Mode. In dem Moment, in dem Kommentatoren ernsthaft sagten, ein Kanzlerkandidat dürfe Politiker in anderen Ländern nicht kritisieren, sondern müsse sich „diplomatisch“ äußern, bekannten diese sich dazu, es gar nicht  ernst zu meinen mit dem Wunsch nach „Klartext“, sondern sich auch künftig mit Regierendem-Geschwurbel einverstanden zu erklären.

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