Immer gut informiert durch MSN – preiswert mit Mängeln

Okay, dieser Artikel kostet nichts, er wird von Microsoft kostenlos in meine Windows-Taskleiste unten rechts eingespielt. Aber er ist, journalistisch gesehen, eine Katastrophe. Die Recherche mag okay sein, im englischen Original ist er wahrscheinlich verständlich und korrekt geschrieben, aber: die Übersetzung ist unter aller Sau.

Es beginnt mit einer besonders dramatischen Überschrift: „Demütigung für Putin, als Elite-Soldaten sich wegen Medaillen und Millionen gegenseitig erschossen„. Ausgerechnet in dem Moment, als sich fast drei Dutzend Elite-Soldaten mit ihren Schusswaffen gegenseitig niedermetzelten, wurde auch der Staatspräsident gedemütigt?

Was war da überhaupt genau passiert? Das wird im Text erzählt:  „Mindestens 35 Mitglieder der 83. Luftlandebrigade der Garde sollen sich gegenseitig erschossen haben, um Kampfwunden vorzutäuschen„.

Aha, da haben sich russische Soldaten, die, so vermute ich als einer, der den Artikel zu lesen beginnt, blöderweise gegenseitig getötet, als sie eigentlich einander nur Pseudo-Kampfwunden zufügen wollten.

Während des Lesens wird klar: Niemand ist gestorben, so blöd waren die 35 nicht, sich gegenseitig aus Versehen umzubringen. Ich vermute mal, dass ein unterbezahlter deutschsprachiger Mitarbeiter, der den Text schlampigst übersetzt hatte, nicht wußte, dass im englischen „to shoot someone“ nicht bedeutet: „Jemanden erschießen“. Auf deutsch bedeutet es, wenn jemand erschossen wird: der ist tot. Wenn jemand im englischen „shooted“ wird, heißt das nur, dass auf ihn geschossen wurde. „Er-schießen“ gibt es wohl auf englisch gar nicht, man müsste dann sagen „to fatally shoot someone“.

Jemand, der öfter englischsprachige News-Texte liest, wird das sehr schnell lernen. Auch ich habe anfangs gedacht, dass „he was shot“ bedeutet, dass er erschossen, also durch den Schuss getötet wurde. Bis immer wieder aus dem Zusammenhang ziemlich klar wurde, dass die Opfer vielleicht verletzt oder auch gar nicht getroffen wurden oder sich nachher im Interview über die Schüsse beschwert hatten. Irgendwann wusste man, was „to be shot“ bedeutet und was nicht.

Wenn man jemanden für ein vielgelesenes Newsportal englische Texte übersetzen lässt, der so etwas nicht weiß, nur weil er eigentlich „ganz gute Englischkenntnisse hat“, der also gar kein wirklicher Übersetzer ist, wird mir als Leser eine stümperhafte Leistung vorgelegt. Über die auch keine journalistische Kontrollinstanz mehr geschaut hat, etwa ein Redakteur, den man sich wohl auch einfach einspart. Hauptsache, man hat einen vorhandenen englischsprachigen „Content“ effizient weiterverwertet.

Aus dem weiteren Text wird dann klar, dass die mindestens 35 Elitesoldaten staatliche Entschädigungen erschleichen und Tapferkeitsmedaillen einheimsen wollten. Indem sie sich – jetzt wird es klar – „abwechselnd“ (besser wäre: „gegenseitig“, „wechselseitig“ o.ä.) nicht tödliche Verletzungen zugefügt haben, um den „Eindruck von Kampfwunden“ zu erwecken. Gemeint ist wohl „den Anschein vom Kampfwunden“.

Der Text wirkt auch ansonsten ungelenk formuliert, wahrscheinlich, weil man eben huschhusch aus einer anderen Sprache ins Deutsche übersetzt hat. Der Leiter der Spezialeinsatztruppe Konstantin Frolov hatte sich selbst vier Schusswunden zugefügt, um die Rolle des „dekorierten Kriegsveteranen zu spielen“ und wurde festgenommen. Und nicht nur das: „Frolovs falscher Heldentum wurde nicht nur belohnt, er wurde auch gesendet„.

Vielleicht kann man das so im mutmaßlichen englischen Original tatsächlich formulieren.  Das „Heldentum“ hat aber im Deutschen eben ein Geschlecht – und das ist nicht das männliche. Was nicht nur im „falscher“ falsch steht, sondern auch im Artikel „er“ – es ist also wohl kein reiner Schreibfehler: Auch die Deutschkenntnisse des Übersetzers scheinen nicht die besten zu sein. Oder er meinte „Heldenmut“, hat das aber nicht korrigiert. Blöd aus sieht es so oder so: Denn auf jeden Fall wirkt die Formulierung „wurde nicht nur belohnt, sondern auch gesendet“ unklar: Wenn etwas „gesendet“ wurde, dann wurde über „das Heldentum“ oder „den Heldenmut“ berichtet. Das Heldentum, der Heldenmut selbst wurde nicht gesendet, oder kann man sagen: „Heute wurde im Fernsehen falsches Heldentum gesendet“?

Dieser falsche Held Frolov, heißt es am Ende, ist übrigens der Sohn von Oleg Frolov, einem ehemaligen stellvertretenden Leiter der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos:

Oleg Frolov steht derzeit wegen eines nicht zusammenhängenden Betrugs im Zusammenhang mit staatlichen Aufträgen vor Gericht„.

Tja, diese super ungeschickten Russen, die einfach zu blöd sind zum Betrügen: Entweder sie knallen sich dabei aus Versehen alle ab – oder sie kriegen es nichtmal hin, einen Betrug so zusammenhängend zu gestalten, dass er nicht sofort wegen logischer Fehler auffällt.

Es ist nichts schlimmes passiert: Man versteht den Text, man weiss, was geschehen ist. Und vielleicht ist es auch eine „List der Vernunft“, dass die Lieblosigkeit solcher mangelhaft übersetzten, auch in der Zielsprache Deutsch falsch formulierten Artikel dem Leser ungewollt vor Augen führt, dass die Nachricht eine reine Ware ist, die möglichst billig hingeramscht wird. Denn sie wird ja nur produziert, weil sie irgendeinen Profit bringt. Wohl durch Werbung, oder wodurch sonst? Sie darf aber nicht zu hohe Kosten verursachen. Was gut ausgebildete Übersetzer verdienen, kann keiner bezahlen, selbst wenn das Medium Multimilliardären gehört.

Das haben wir Konsumenten aber ja auch anderweitig längst gelernt und akzeptiert: Die schöne neue Warenwelt erfordert unsere Mitarbeit und unsere Leistungsbereitschaft: Ob wir die gelieferten Bücher, Schuhe oder Notebooks selber verpacken und zurückschicken müssen, technische Details von Produktfehlern in Hotlines genervten Callcenter-Mitarbeiter*innen kompetent erklären müssen oder ob wir uns eben unseren Lesestoff selbst zurecht redigieren müssen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.