B-Noten verteilen statt Politik verstehen und einordnen

Bald wird es erste Meldungen geben, ob im Referendum in Griechenland die Wähler mehrheitlich mit „Nai“ oder „Oxi“ abgestimmt haben. Es ist von vielen Seiten schon sehr vieles, wahrscheinlich im Prinzip schon alles gesagt worden.

Mir fiel jetzt nur gerade noch auf, wie je eine der beiden Grundpositionen, die in der Griechenland-„Tragödie“ sich unversöhnlich gegenüber stehen, jeweils von einer Deutschlandfunk-Kommentatorin vertreten werden.

Die Variante, Tsipras und Varoufakis für durchgeknallte, psychisch abweichende Menschen zu halten, die eigentlich ein Fall für den Psychiater sind (die, wie Jan Fleischhauer meint, Psychopathen sind, die man, wie der ARD-Kollege in Brüssel Rolf-Dieter Krause „davonjagen“ sollte, der, wie Martin Schulz sagt, „unberechenbar“ sind), lese ich bei Annette Riedel, Brüssel-Korrespondentin des Deutschlandfunks. Sie findet: „Die spinnen, die Tsipras-Leute“ – obwohl  sie ja eigentlich, räumt sie munter räsonnierend ein, eigentlich eine „Griechenlandversteherin“ sei:

„Absolut spinnert allerdings finde ich, dass eine Regierung nicht bereit ist, vertraglich vereinbarte Reformen umzusetzen, wenn sie zwingend Geld braucht. Wenn sie fällige Raten bei Kreditgebern nicht mehr bezahlen kann oder will, aber mehr oder weniger im gleichen Atemzug von den Vertragspartnern neues Geld und den Teil-Erlass alter Schulden verlangt. Für diese Forderungen die schon in weiten Teilen darbende eigenen Bevölkerung sozusagen in Geiselhaft nimmt, um Zugeständnisse der Geldgeber zu erreichen (um nicht zu sagen zu erpressen)“.

Viele Brüssel-Korrespondenten haben, glaube ich, leider eine sehr oberflächliche Tendenz, Politik unter dem Aspekt des B-Noten-Verteilens zu beurteilen: Wie verhält sich jemand, ist jemand sympathisch, hat er eine Krawatte an oder nicht, nervt er oder sie, und immer diese endlosen Verhandlungen, die unverständlicherweise immer weiter gehen und die zu keinem Kompromiss führen. Das nervt die Korrespondentin, die auch mal gerne wieder über anderes berichten würde, das nervt die Politiker, die in Hintergrundgesprächen ihre Genervtheit dann mit dem Korrespondenten teilen, was sie einander näher rücken lässt; und dann glaubt man dem Politiker gerne, der sagt: „ich bin menschlich enttäuscht von diesem Tspiras, der hat uns angelogen“. Und da kann man/frau dann mal sich einen kleinen, gerechtfertigten Ausbruch in seinem Medium leisten: „Sind die spinnert, echt, jeder vernünftige Mensch wird doch wohl vertraglich vereinbarte Reformen umsetzen, oder? Kann man echt nicht verstehen, Ihr doch wohl auch nicht, liebe Hörer, oder?“

Als ob die Kollegin, die in Brüssel die Politik in Europa beobachtet und wohl auch die Vorgeschichte der letzten fünf Jahre mitgekriegt hat, die Troika-oktroierte Sparpolitik, die das Land immer tiefer in die Krise gedrückt hat, die Gründe, warum dann schließlich die Griechen Syriza an die Regierung gewählt haben, das Verständnis, das nach und nach immer mehr Politiker und sogar deutsche Journalisten  für die Ablehnung der Austerität durch die Mehrheit der leidenden Griechen gezeigt haben, als ob sie plötzlich all das vergessen hätte – denn sonst hätte sie es ja zumindest „verstehen“ müssen, warum die griechischen Regierungsvertreter eben NICHT diese Sparpolitik umsetzen wollten.

Und dann fragt ihre DLF-Kollegin Karin Beindorff in ihrem Beitrag genau das, was zu fragen ist:

„Was ich am meisten in dieser Propagandaschlacht vermisse, sind kritische Fragen von Journalisten, die sich nicht zum Sprachrohr von Interessengruppen machen – und vor allem Fakten. Woher rühren Griechenlands Schulden, wer profitiert von den Milliardenkrediten, warum hat gerade die deutsche Politik sich so stark für Griechenlands Eintritt in die Eurozone gemacht?

Warum ist die europäische Politik so nachgiebig mit den für ihre Vetternwirtschaft bekannten Konservativen und Sozialisten in Athen umgegangen und hat wieder und wieder Kredite nachgelegt, von denen – wie die Zahlen belegen -, nicht die Bevölkerung, sondern die Kreditgeber und Exporteure Europas profitieren? Wer hat an der gigantischen Aufrüstung Athens verdient, um die es so verdächtig still geworden ist, und woher kam das Geld? Warum werden die Forderungen der Eurokraten eigentlich nicht offen verhandelt, sondern in Interviews ohne kritische Nachfragen, unbelegte Behauptungen verbreitet?“

Eben: Warum, warum, warum haben (wir) Journalisten diese Fragen nicht gefragt, warum mussten wir das Politikergerede 1:1 als plausible Analysen und objektive Betrachtungen der Wahrheit annehmen? Warum fühlen wir mit einem Juncker mit, der von Tsipras „als Politiker, aber auch als Mensch“ enttäuscht war, weil der plötzlich über das „großzügige“ Angebot (so Angela Merkel) von EU-Seite sein Volk entscheiden lassen wollte; und warum kreiden wir dann diesem so empfindsamen Juncker dann nicht seine faktische Lüge an, dass die Renten nicht gekürzt werden sollten und dass er uns nicht gesagt hat, dass das 35-Milliarden-Investitionsprogramm kein Angebot war, sondern als EU-Agrar- und Strukturfonds sowieso jedem EU-Mitglied zugänglich ist? Im Gegenteil: ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause tobte bei „Hart aber fair“ darüber, Tsipras und Varoufakis hätten gelogen, und man müsste diese Kerle davonjagen . Ich weiss nicht, welche Lügen er meinte, aber: jedenfalls hätte er als objektiv urteilender Journalist auch diejenigen des Kommissionspräsidenten anprangern müssen. Stattdessen schonte er da die, die ihm natürlich durch seine alltägliche Arbeit in Brüssel tagtäglich einfach menschlich und politisch näher sind.

Das schlimme ist, dass uns – wie die DLF-Kollegin Beindorff feststellt – nicht klar war, dass wir uns in einer Propagandaschlacht befanden und immer noch befinden. In der sich die allermeisten unserer Branche vor allem auf der einen Seite, der stärkeren, der vermeintlich „unseren“ wiedergefunden haben. Die ekelhaften, journalistisch gar nicht mehr diskutablen Hetzkampagnen der „Bild“-Zeitung sind dabei natürlich gar nicht berücksichtigt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.