Putin verstehen ist kein Verständnis für Putin

Wann immer derzeit jemand sich die (notwendige!) Mühe macht, sich und anderen das Verhalten des russischen Präsidenten zu erklären, fällt in der kurzatmigen Verkürzung  der abwertende Begriff „Putin-Versteher“. In diesem Wort schwingt immer mit, dass man sein eigenes Lager, den Westen und all seine Werte, an den Autokraten im Osten verrät – so wie Gerhard Schröder.

Ein „Versteher“ – jemand, der einen anderen versteht, macht doch eigentlich etwas positives: er versetzt sich in einen anderen hinein. Im Deutschen aber hat das Wort „verstehen“ zwei Bedeutungen: Einmal: ich „kapiere“, was der andere meint; ich verstehe, wie er tickt, auch wenn ich vielleicht völlig anders denke als er. Und dann gibt es die zweite Bedeutung: Ich habe „Verständnis“, das heisst, ich rechtfertige das, was der andere macht, vielleicht sogar wider besseres Wissen.

Strobe Talbott, US-Vize-Außenminister unter Bill Clinton, twittert deshalb über das deutsche Wort „Putin-Versteher“:

„Strobe Talbott@strobetalbott 19 Min.

Putin-Verstehers, literally „understanders“ but idiomatically „apologists,“ part of problem. Merkel truly understands him, key to solution“.

Also: Angela Merkel ist für ihn jemand, die Putin versteht, also weiß, was ihn bewegt. Auch Henry Kissinger versteht Putin. Im Grunde genommen sind alle Politiker, die ihren Job ernst nehmen, solche, die versuchen, einen anderen Politiker zu verstehen – was ja nicht bedeutet, dass man seiner Meinung ist.

Das Gegenteil sind nicht die Politiker, die kein „Verständnis“ haben für einen Politiker wie Putin. Sondern die, die ihn nicht verstehen. Versteht ein Senator McCain Putin? Nein, und das ist fatal. Er denkt (weil er ideologisch tickt), Putin sei ein gefährlicher Machtpolitiker, ein potentieller Kriegsgegner, der eine freie (im US-Sinne freie) Ukraine bedroht und den man deshalb mit aller Macht in die Schranken weisen muss. Und warum nicht je nachdem mal einen Krieg gegen so einen führen? Im Namen von „Freedom for the Ukrainian people“? Da bin ich dann ein McCain-Versteher – aber ich habe keinerlei Verständnis für so ein brandgefährliches Verhalten.

Für Putins homophobe Politik, für seine autokratische Herrschaft, für seine Unterdrückung freier Medien habe ich auch keinerlei Verständnis. Ob ich Verständnis für sein Handeln gegenüber der Ukraine habe? Nein, aber ich „verstehe“ es. Und ich habe kein „Verständnis“ für die, die ihn bzw. Russland unter Druck setzten wollen, weil sie sich nicht bemühen, ihn zu verstehen. Es geht doch um reine Machtinteressen verschiedener Beteiligter: Russlands, der EU, der USA, ukrainischer Nationalisten, russischer Nationalisten in der Ukraine. Und da ist das wichtigste, dass man deren Interessen so ausgleicht, dass es keinen Krieg gibt, dass keine Menschen sterben, dass es ein möglichst friedliches Zusammenleben gibt. Solche auf Frieden gerichtete Diplomatie sollte eigentlich alternativlos sein.

Hier geht es nicht um „Verständnis“ und Sympathie, sondern um „Verstehen“. Was will Putin? Warum handelt er so, wie er handelt? Will Putin zum Beispiel wirklich Russland größer und stärker machen als es ist? Vielleicht. Aber: Ich glaube, so größenwahnsinnig ist er nicht, dass er denkt, dass er das kurzfristig erreichen kann. Er kann nicht die alte Sowjetunion wiederherstellen, und das weiss er. Ich finde es nachgerade absurd, wenn man sich die Karte anschaut, im Falle der russischen Politik von „Expansionsdrang“ zu reden: Der ehemalige ideologische Gegenspieler der Sowjetunion, die NATO, hat sich immer weiter in den ehemaligen sowjetischen Machtbereich hin ausgedehnt. Alle ehemaligen Mitglieder des Warschauer Paktes gehören heute zur NATO und zur EU. Und nicht nur das: Sogar das Baltikum ist mittlerweile Teil des früheren „feindlichen“ Militärbündnisses. Putins Reaktion auf den Versuch, die Ukraine der EU zu assoziieren, wirkt auf uns in Deutschland also vielleicht nicht sonderlich sympathisch: Da hat er ganz klassisch massiven Druck ausgeübt auf Präsident Janukowitsch. Schon beim Kurzkrieg mit Georgien um Südossetien war die Botschaft Putins: Bis hierhin und nicht weiter! Russland hat sich nach dem Ende der Sowjetunion mit der Realität eines Machtverlustes abgefunden: Es hat auch den „Abfall“ des Baltikums toleriert. Aber dass die Ukraine und Georgien Teil eines als potentiell gegen Russland gerichteten Bündnisses werden – das toleriert er nicht! Das ist eine ganz klare machtpolitische Botschaft, die Putin da aussendet; da geht es nicht darum, ob man sie moralisch akzeptabel findet oder nicht. „Putin-Versteher“ verstehen halt (und nicht: „haben dafür Verständnis“), dass kein russischer Präsident eine Außen- und Sicherheitspolitik betreiben kann, die (aus russischer Sicht) eine Einkreisung durch mehr oder weniger feindlich gesinnte Staaten hinnimmt. Angela Merkel und Frank Walter Steinmeier sind in dieser Hinsicht „Putin-Versteher“: Deshalb haben sie z.B. amerikanische Versuche verhindert, die Ukraine oder Georgien in die NATO zu holen.

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