Manches, nur manches, war früher doch besser….

(Einige Gedanken, nachdem ich gestern mal wieder „Hart aber fair“ geschaut habe)

Manches also, wenn auch nur manches, war früher doch besser….

….zum Beispiel, dass es im 19. Jahrhundert keine Fernseh-Talkshows mit jederzeit klatschbereitem Publikum gab, sondern Diskutanten, die sich sogar billigen Beifall verbaten: Unvorstellbar, dass heute ein Wolfgang Bosbach oder ein Gregor Gysi bei „Hart aber fair“ sagen würde:

„Meine Freunde, Schweigen würde mir bei der Erörterung ihrer Fragen mehr zusagen als Applaus. Mein Wunsch ist es, Ihr Urteilsvermögen, Ihr Verständnis, Ihr Gewissen anzusprechen und nicht Ihre Leidenschaften und Ihre Begeisterung.“

Stephen A. Douglas, der demokratische Gegenspieler des republikanischen Präsidenten Abraham Lincoln sagte genau dies während einer siebenstündigen Debatte zwischen den beiden. (Quelle: Neil Postman: Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie. Frankfurt am Main 1985)

In so einer Debatte, in der wirkliche Argumente ausgetauscht wurden, und man nicht auf die populistische Pointe mit Klatschgarantie setzte, herrschte noch eine ganz andere Art und Weise des Gedankenaustausches. Die Charakteristika dieser offensichtlich von der heutigen  grundverschiedenen Art des öffentlichen Diskurses sind Logik, Rationalität, Bildung und Nachprüfbarkeit. Er war geprägt ( so schrieb es Postman 1985)  von der in einer demokratischen und sozial ausgeglicheneren Gesellschaft, wie sie die der USA im 19. Jahrhundert im Gegensatz zu den meisten europäischen Gesellschaften war, noch stärker verbreiteten Schriftlichkeit, von Büchern und Zeitungen. Selbst die gesprochene Sprache war hier in Struktur, Länge der Sätze und rhetorischem Aufbau von der geschriebenen bestimmt .

Und: es gab Zuschauer, aus allen sozialen Schichten, die zu einer solchen, sieben Stunden dauernden Diskussion anreisten und es nicht müde wurden, ihr zu folgen. Sieben Stunden Rede und Gegenrede zweier Sprecher. Und zwar Sprechern, die sich kom-
plizierter, verschachtelter Sätze und feinster rhetorischer
Mittel wie „Sarkasmen, Ironie, Paradox, ausgefeilter Metaphern,
feiner Unterscheidungen, Aufdeckung von Widersprüchen“ bedienten (lesen wir bei Postman).

Redner, die nicht selten drei Stunden und länger sprachen und
an irgendeiner freien Stelle ihre Ansprachen hielten, fanden
immer eine ganze Reihe interessierter und beteiligter Zuhörer,
waren sogar eine begehrte Jahrmarktsattraktion.

In so eine rationale, geistig erwachsene Umgebung hätte die Publizistin Ulrike Guérot sehr gut gepasst; eine Talkshow dagegen ist für so eine logisch und fundiert argumentierende Frau eigentlich nicht geeignet: Denn natürlich wird sie die ganzen populistischen Halbgarheiten, die Politiker wie  Wolfgang Bosbach, aber auch andere längst auf diese Diskursart trainierte Talkshow-Gäste von sich geben, alle argumentativ parieren wollen. Da aber ein kluger Mensch wie sie dafür immer viel zu weit ausholen muss, kommt sie natürlich nie mit den Zeithappen aus, die ihr das Format zugesteht.

Da ihr das wohl klar ist, versuchte sie gestern in „Hart aber fair“ bravourös, sobald sie das Wort hatte, dreimal so schnell wie normal zu sprechen, um eine Kanonade an vernünftig klingenden Äußerungen abzufeuern. Um Informationen über Fakten in die immergleich ablaufenden Griechenlanddiskussionen einzubringen, die häufig Behauptungen entgegenstehen, die andere in der Runde gemacht haben.

Fast jeder andere wäre daran gescheitert. Hätte sich heiss geredet, hätte gemerkt, dass alle anderen befremdet sind ob dieser gehobenen Sprache, dieser weiten Horizonte, die sie eröffnet, wäre verunsichert worden und hätte sich schnell vom mitleidig-genervten Moderator abwürgen lassen, damit der Austausch wieder in die immergleichen Bahnen gelenkt wird. Aber Ulrike Guérot zog ihre Redebeiträge durch – natürlich dennoch von den anderen mit milder Häme bedacht, wohl auch von den meisten Fernsehzuschauern. Und natürlich ging niemand wirklich auf ihre neuen Aspekte ein, die sie einbrachte.

Aber: Ihre schnellfeuernde Stimme blieb gleichmäßig und überschlug sich nicht. Sie schaffte es, ihren Bogen zu Ende zu bringen, bevor der Moderator, der soviel Komplexheit nicht gerne zulässt, ihr wieder zur Erleichterung vieler „endlich“ das Wort entwenden konnte.

Ein Erfolg in kleinen – sie schlug das Format mit seinen eigenen Mitteln und schmuggelte etwas Geist ein. Wer ein wenig Honig aus dieser letztlich als Unterhaltungs- und nicht als Informationsformat gedachten Talkshow ziehen wolle, hatte alleine aus dieser Diskutantin einen gewissen Ertrag. Weite, aber notwendige Rückblicke in die Vorgeschichte von EU und Euro, wenn auch natürlich nur angedeutet: die erhält man sonst eher selten, viel öfter muss man ja zum zigten Mal erörtern und beklatschen, dass Wolfgang Bosbach, auch wenn man nicht seiner Meinung ist, ein tapferer Mann ist, der an seiner Meinung festhält (Emotion, nicht Ratio). Oder sich die soziale Not in Griechenland ins Gedächtnis rufen lassen; dafür gibt es immer einen Deutschgriechen, dem man mit ernster Miene zuhört (Emotion, immerhin eine, die Ratio transportieren kann), um dann dem Brüssel-Korrespondenten zu applaudieren , der das Bild von den Griechen zeichnet, die auf Kosten der anderen Europäer „schlemmen“ (Emotion). Argumente, die sich widersprechen (die hungernden Rentner schlemmen in der Suppenküche), die aufeinandertreffen, aber nicht ausgefochten werden,  bis man vielleicht ein differenziertes Bild der Wirklichkeit erhält. Stattdessen nur Kopfschütteln, Genervtheit, Verachtung, Resigniertheit und die Zufriedenheit des Moderators, Zuschauerreaktionen erhalten zu haben, die ihm zeigen, dass man die Schau wahrnimmt: Kopfschütteln, Genervtheit, Verachtung, Resigniertheit auch da draußen an den Bildschirmen.

Mehr will man doch gar nicht in der heutigen Zeit, in der es ohne Bedenken um Leidenschaften und Begeisterung  gehen darf, und kaum mehr um Urteilsvermögen, Verständnis und Gewissen.

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