Selbsternannte Gedanken über „selbsternannt“

Das Wort ist von seinen Benutzern als schwere Herabsetzung gemeint; es  gibt sich die Anmutung, den Kritisierten in seiner Motivation zu entlarven. Es trifft aber fast immer voll daneben, weil es eigentlich gar kein Vorwurf ist:

„Selbsternannt“.

Das Wort erstaunt mich durch seine ausgesprochene Nicht-Prägnanz.

„Die Sprecher des Netzwerks, die Bundestagsabgeordneten Eva Högl und Martin Rabanus, hatten die ’selbsternannte Parteilinke‘ aufgefordert, ‚in die ‚Niederungen‘ der politischen Arbeit zurückzukehren, anstatt sich im Sandkasten um Förmchen zu streiten.'“ (n-TV 17.11.2014)

Was aber an der Bezeichnung „selbsternannte Parteilinke“ soll diese Parteilinke treffen? Dass man sich „Parteilinke“ nur dann nennen darf, wenn dies durch eine dazu befugte Institution erlaubt worden ist? „Parteilinker“ kann man also nur werden, wenn man von einem anderen als einem selbst dazu „ernannt“ worden ist? Hat ein wahrer, nicht selbsternannter Parteilinker sogar eine Urkunde in Besitz, mit der er jederzeit nachweisen kann, dass er diesen … nun ja…. Titel?…. zu recht führt?

Und ist der Charakter derer, die sich da in Magdeburg getroffen haben, überhaupt strittig? Ist es nicht allgemein anerkannt, auch von den Parteirechten oder (selbsternannten) „Netzwerkern“, dass das die vom linken Flügel der Partei sind? Man unterscheidet sich doch offenbar von ihnen – was ist so schlimm daran, wenn sie sich mit dem zutreffenden Begriff „Parteilinke“ bezeichnen?

„Selbsternannt“ ist also eines dieser vielen Blähwörter, die im Grunde genommen einfach gar nichts besagen und nur von der Inhaltsarmut bzw. -leere des Vorwurfes zeugen. Es ist ein Schimpfwort, ein tückisches, das nicht zu widerlegen ist; gegen das der Beschimpfte also wehrlos ist, so Dieter E. Zimmer 1999: „Was es ihm an den Kopf wirft, ist eine Art Amtsanmaßung: dass er sich als etwas ausgibt, wozu er nur von anderen gemacht werden könnte“.

Wer anders als die „selbsternannten Republiken Donezk und Lugansk“ könnte sie zu Republiken machen als sie selbst? Sonst tut es doch keiner. Oder gibt es irgendwo auf der Welt eine Stelle, die, nach einer angemessenen Bewährungsfrist und der Entrichtung einer  Gebühr einen Staat offiziell in den Republik-Stand erheben kann? Bzw. diese Ernennung nach diversen Einsprüchen verweigern kann?

Wie sinnvoll wäre es, jedem Verein, der sich einen Namen gibt, ständig das zutreffende, aber belanglose Attribut voranzusetzen? Die selbsternannte CDU, der selbsternannte DGB, die selbsternannte Deutsche Fußballliga?

Schon wieder richtig schön ist es, wenn man sich das Subjekt selbst spart und nur noch das verwerfliche Handeln des Sichselbsternennens ganz allgemein geisselt und substantiviert: „Wer jüngst eine Goldt-Lesung sah, weiss, dass man es mit einem verbissenen alten Selbsternannten zu tun hat, dessen frühere Leichtigkeit und Positivismus in irgendeiner alten Jacke vor sich hin zu dölmern scheinen“. (Leserkommentar auf amazon.de).

Max Goldt ist also ein Sichselbsternenner; es ist schon völlig gleichgültig, wozu er sich eigentlich ernannt hat. (Und der Witz dabei ist, dass Max Goldt vor vielen Jahren selbst mal was über die absurde Verwendung von „selbsternannt“ geschrieben hat; ich glaube, er machte sich u.a. über ein „selbsternanntes Witzchen“ lustig, aber ich müsste lange meine „Titanic“-Sammlung durchforsten, um den Text zu finden).

P.S. Und schön sind auch die selbsternannten Prostatazentren.

 

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