Deutsches Gedenken: Jeder denkt nur an sich – nur ich denke an mich

Still und leise haben wir plötzlich gleich zwei neue Gedenktage für nach dem 2. Weltkrieg vertriebene Deutsche bekommen:

In Hessen und Bayern wird morgen, am Sonntag, dem 14. September, erstmals ein Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation begangen werden. Er soll an das „Unrecht, das Millionen Menschen nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs widerfahren ist“ erinnern, sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier. Erst am 27. August hatte das Bundeskabinett beschlossen, ab kommendem Jahr immer am 20. Juni einen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung bundesweit abzuhalten – das ist gleichzeitig der Weltflüchtlingstag, der 2000 von den Vereinten Nationen ausgerufen worden war.

Dieser Beschluss ist erstaunlich unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, gefasst worden – wenn man sich daran erinnert, wie sehr das Thema immer für erbitterte Diskussionen gesorgt hatte.

Am „Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung“ werde künftig der weltweiten Opfer von Flucht und Vertreibung, insbesondere der deutschen Vertriebenen gedacht, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Offenbar denkt die undankbare Welt nie oder viel zu wenig an die deutschen Opfer, so dass wir es jetzt wohl selber machen müssen. Dabei haben unsere Vertriebenen – bzw.: der „Bund der Vertriebenen“ – doch in der „Charta der Heimatvertriebenen“ darauf verzichtet, „Rache und Vergeltung“ an den vertreibenden Tschechen, Slowaken, Polen und Sowjets zu üben.

Dass wir pauschal aller Opfer von Flucht und Vertreibung, wie ja schon am 20. Juni,  gedenken, reicht der Bundesregierung nicht mehr.

Der Schwerpunkt liegt jetzt auf „Deutschland“. Flucht und Vertreibung sei Teil der Geschichte Europas, sagt Innenminister de Maizière, auch Millionen Deutsche seien vertrieben worden. Das „auch“ hätte er sich sparen können, denn von niemand anderen als den deutschen Vertriebenen nach dem 2. Weltkrieg und dem Nazi-Terror in ganz Europa redet unser Innenminister.

Dieser neue Gedenktag ist nämlich nichts anderes als ein Geschenk dieser Großen Koalition an die scheidende Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach, an die Vertriebenenverbände und an die Konservativen in der CDU und vor allem auch der CSU. Erika Steinbach hatte ja schon lange einen solchen Gedenktag gefordert. Ihr Herz und ihr Mitgefühl gilt vordringlich und fast nur den deutschen Vertriebenen. Deshalb wollte sie auch, genauso wie Union und FDP noch vor drei Jahren, den 5. August als Gedenktag.

Am 5. August 1950 hatten die Landsmannschaften der Vertriebenen ihre „Charta der Heimatvertriebenen“ verkündet. Unter den Unterzeichnern waren viele Ex-Nazis . Sie verzichteten darin großmütig auf „Rache und Vergeltung“. Man stelle sich das vor: Die Schlächter von Millionen Menschen vor allem in Osteuropa verzichteten großmütig auf „Rache“. Kein Wort darüber, dass Deutsche Juden, Polen, Russen und viele andere nicht nur vertrieben, sondern in Millionenzahl ermordet hatten. Zu Recht war die obszöne Idee, aus dem Datum dieser anrüchigen Charta einen Gedenktag zu machen, auf erbitterten Widerstand gestoßen, bei der SPD, bei den Grünen, der Linkspartei und dem Zentralrat der Juden.

Jetzt haben wir also also den Gedenktag am 20. Juni. Den Weltflüchtlingstag. Das ist nicht mehr so obszön wie der ursprünglich geplante 5. August. Millionen Deutsche haben natürlich gelitten, als sie vertrieben wurden. Auch unschuldige deutsche Kinder, unschuldige deutsche Frauen und Männer, dazu viele, viele schuldige Nazis, die plötzlich keine Nazis mehr waren.
Aber: Es kann und darf nicht sein, dass wir an diesem Tag, an dem weltweit solcher Opfer von Flucht und Vertreibung gedacht wird, fast nur an die deutschen Vertriebenen denken:

Für die Vertreibung der Deutschen trägt eben Deutschland selbst die Verantwortung. Vorher haben Deutsche gnadenlos andere vertrieben, bestohlen und ermordet; und dieses unglaublich verbrecherische und völkermörderische Verhalten war unmittelbar Ursache der Vertreibungsbeschlüsse vieler Staaten, die unter dem deutschen Terrorregime und dem von Deutschland aufgezwungenen Krieg leiden mussten.

Ich bin gespannt auf den 20. Juni 2015: Ob wir da, am Weltflüchtlingstag, den wir jetzt zum nationalen Gedenktag noch höher stufen, tatsächlich so stil- und gefühllos sein werden, uns nur an unsere eigene Leidensgeschichte zu erinnern.

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