Wahlkampf-Nichtigkeiten – Tagebuch

Von Mikro-Mann und Mikro-Frau – Do’s und Dont’s im Krisengebiet

Wer fährt dahin, wo die Flut gewütet, zerstört und getötet hat? Eigentlich ist es schön, dass das außer auf einigen Nebenkriegsschauplätzen in Sozialen Medien nicht mehr diskutiert wird. Als Politiker*in fährt man hin, natürlich. Als Ministerpräsident, als Kanzlerin, als Finanzminister und Vizekanzler: klar. Dann wird man denen zwar immer wieder auch vorwerfen, sie machten das aus unedlen Motiven, weil sie Wahlkampf machen und sich in Szene setzen wollen, und all so etwas.

Ja, klar, Wahlkampf – lieber so etwas, konkret am wichtigen Thema, als durchschaubare Gaga-Kampagnen, die das Ziel haben, jemanden nicht mit Argumenten, sondern als Person anzuschwärzen und so zu diskreditieren, dass am Ende jeder Wähler, jede Wählerin denkt: „Von der, dem lasse ich lieber die Finger, die, der ist ja unmöglich!“

Offenbar reagieren die Menschen in den betroffenen Gebieten unterschiedlich: Manche sagen, Politiker stünden nur im Weg und behinderten all die Arbeiten, die auch Tage nach der Katastrophe überall im Gange sind. Andere sagen: Wenn die große Politik zu ihnen kommt, sie wahrnimmt in ihrer Not, und Hilfen, vor allem auch finanzielle, verspricht, sei das gut. Und natürlich gilt auch: wehe, Merkel, Laschet, Scholz und Baerbock wären NICHT gekommen!

Aber wie man es macht, macht man es falsch: In den Springer-Zeitungen, die nicht nur im Wahlkampf lieber mit Emo-Argumenten arbeiten („Arrogant“, „Hysterie“, „dekadent“ etc.) verteilen Journalist*innen, die im Trockenen sitzen, Stilnoten an die, die im Trockenen sitzen und Stilnoten an diejenigen verteilen, die vor Ort in Schlamm, Matsch und Trümmern helfen:

 

Aber selbst die, die für „Bild“ an der „Front“ stehen, müssen sich zu Recht Spott gefallen lassen:

Denn: Das ist doch exakt das, was man Politiker*innen gerne vorwirft: Selbstinszenierung, in der man sich selbst zum Helden, einer Heldin einer Geschichte macht, die man über andere Held*innen, Opfer, Geschundene, Verzweifelte zu erzählen hat.

Ganz pragmatisch fand es der Oberbürgermeister von Grimma in Sachsen (2002 und 2013 von Flutkatastrophen betroffen) gestern bei Markus Lanz gut, wenn Politiker zu Besuch kommen: „Wenn die Politiker kommen: die können ja nur alles falsch machen: kommen se nicht: heißt’s: „kein Interesse“, kommen se hin, heißt es „Wahlkampf“. Insofern: Man kann bloß froh sein über jeden der kommt, das ist unsere Erfahrung: das ist mediale Aufmerksamkeit, das sichert im Prinzip Spenden – und weitere Unterstützung, das kann man eigentlich bloß begrüßen“.

Bei Lanz war übrigens auch bemerkenswert, wie der „Welt“-Wissenschaftsjournalist Axel Bojanowski zwar den menschengemachten Klimawandel bestätigte, dann aber aus unerfindlichen Gründen darauf bestand, man müsse das ganz strikt trennen, ob an dieser aktuellen Katastrophe wirklich der Klimawandel schuld sei oder ob eine solche nicht auch ohne Klimawandel eingetreten wäre.

Markus Lanz spielte einen Tageschau-Ausschnitt aus dem Jahr 1995 ein, nach dem Wissenschaftler forderten, den CO2-Ausstoß erheblich zu verringern, sonst wäre in 25 Jahren (also heute) kein Gegensteuern mehr möglich. Bojanowksi dazu: „Das ist das Problem des ‚Deadlineism'“. So könne man keine Klimapolitik machen, „den Leuten immer wieder zu sagen: ‚Jetzt ist es wirklich vorbei‘, und: es geht ja doch weiter“.

Ja, Leute, die letztlich vom Klimawandel keine einschneidenden Veränderungen des Klimas und unseres Planeten erwarten, können so reden: Lieber nicht warnen, schon gar nicht drastisch („Wir müssen was tun, ab dann und dann ist es zu spät!“), weil – ja: warum eigentlich nicht?

Aber man hat ein neuenglisches Wort genutzt, welches beweist, dass man auf der Höhe der geistig-politischen Debatten ist, und gleichzeitig sich milde skeptisch gegenüber der 99,2%-igen Mehrheitsmeinung der Wissenschaft gezeigt, was bei „Welt“-Lesern gut ankommt, die wegen Bojanowski mal bei Lanz reingeschaut haben.

Der Inhalt des pseudonachdenklichen Metagedankens ist, außer dass er eine zulässige Argumentation  durch die Endung „-ism“ als Ideologie diffamieren will, vernachlässigbar und trägt nichts konstruktiv zu dem Versuch bei, irgendwie noch den menschengemachten übermäßigen CO2-Ausstoß möglichst gegen Null zu fahren. Ist ihm auch offensichtlich kein Herzensanliegen.

Ja, da entferne ich mich jetzt vom Wahlkampf. Aber das Gute ist ja: Es geht jetzt auch in den Premium-Talkshows wieder um das wohl wichtigste Thema des Bundestagswahlkampfes 2021.

Leider dank einer katastrophalen und für über 170 Menschen tödlichen Flutkatastrophe.

 

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