Wahlkampf-Nichtigkeiten – Tagebuch

Entschuldijung, junge Frau: Altena, Altona, Altenahr?

Heute ein irgendwie leicht resignierter und leicht angeekelter Wahlkampftag. So richtig aktiver Wahlkampf ist nicht zu verspüren (das ist immer natürlich nur mein eigener Eindruck). Selbst die Gelegenheit für Laschet, Baerbock und Scholz, sich bei der Flut mit scheinbar altruistischer Staatsmännisch- bzw. Staatsfräuischkeit doch heimlich zu versuchen, sich Vorteile im Ringen um die Wählergunst zu verschaffen, scheint nur ein wenig und nicht sehr entschlossen ergriffen worden zu sein. Vielleicht, weil man/frau darum weiß, dass man damit Respekt erlangen kann, aber auch schnell als ranschmeißerisch gebrandmarkt sein kann. Eine gefährliche Gratwanderung eben, die auch Wahlkampfberater nicht eindeutig risikofrei planen können.

Hat Armin Laschet in einem WDR-Interview Moderatorin Susanne Wieseler jetzt als „Junge Frau“

angesprochen oder sagte er nur „Entschuldi-jung, Frau äh hm…..“ – weil er ihren Namen vergessen hatte? Mittlerweile spricht mehr für letzteres. Wenn ein Plagiatsjäger jede Zeile von Annalena Baerbocks Buch nach geklauten Formulierungen und kurzen Textpassagen durchleuchtet hat – da ist es doch nur angemessen, wenn man jetzt Genuscheltes von Armin Laschet akribisch in Phoneme zerlegt und versucht, den Wortsinn des Gesagten zu bestimmen:

Und dann hat Armin Laschet wohl gestern die von der Flut betroffene Stadt Altena besucht, und die Stadt und der Bürgermeister wussten nach deren Angaben nichts davon, dass er in der Stadt war; nur „Bild“ war dabei und hatte Laschet erstmal exklusiv. Nicht dumm, denn wenn man Springer-Zeitungen Futter gibt, dann schreiben sie nicht so böse über einen. Das wusste Annalena Baerbock nicht und wurde deshalb… – Quatsch, natürlich gab es keine Kampagne von Springer- und rechtskonservativen Zeitungen, sorry. Es ging um Fakten und bei Plagiatoren wird „Bild“ zu Recht ziemlich ungehalten, außer damals bei zu Guttenberg.

Apropos Altena: Laschet nannte die Stadt in seinem Bundesland „Altona“, was auch natürlich auffiel. Aber vielleicht ist es auch nur sein Genuschel. Es hätte auch „Altenahr“ sein können, das auch von der Flut betroffen ist, aber in Rheinland-Pfalz liegt. Und irgendwie wäre es doch auch unwichtig, so unwichtig, wie, dass die „taz“ in Annalena Baerbocks Buch entdeckt hat: Sie denke, dass Ludwigsfelde (eine Stadt in ihrem Wahlkreis) zu Berlin gehört. Aber das war aller Wahrscheinlichkeit nach eine Satire der „taz“.

Und schon jetzt ist man das Gekrittel an Laschet doch irgendwie müde. Ich weiss nicht, ob ihm das schaden wird, aber: Er ist für mich einfach einer der Politiker „alter Schule“, die denken, als guter Politiker müsse man eben „Realpolitik“ machen, und auch an seinen eigenen Machterhalt denken, indem man immer im ungefähren, unklaren, nicht festgelegten bleibt, weil die Wähler*innen dieses Politikergetue und -geeiere sogar bewundern, weil es irgendwie klug, oder auf eine produktive Art „gerissen“ oder „schlitzohrig“ wirkt. Er wirkt so, als dächte er gar nicht darüber nach, ob er vielleicht in seiner seltsam unmodernen Attitüde eines sich aufgeschlossen und ein wenig papstkritisch gebenden katholischen Pfarrgemeinderatsvorsitzenden der 70er Jahre nicht ganz so gut ankommt? „Onkelhaft“ eben. Und wenn er richtig in „krawattige Ungehaltenheit“ (So schön gesagt von Samira El Ouassil!) ausbricht, kommt das oft gar nicht so überzeugend als heiliger Zorn eines Macher-Politikers an, der einen schlimmen Missstand konsequent abstellen will. „Gegen seine Wutknopfigkeit“ sei Merkel „Buddha“ gewesen, meint Bernd Ulrich.

Laschet inspiriert, das ist das anregende an ihm, zu neuen Wortkreationen. Das nicht so neue „onkelhaft“ habe ich gestern und heute mehrfach gelesen (Belege muss ich auf die Schnelle schuldig bleiben, aber mehreren Menschen in sozialen Medien fiel diese Bezeichnung für sein Verhalten ein) Und wenn ich das google, stelle ich fest, dass das sogar schon länger ein Standardattribut für ihn geworden zu sein scheint.

Ach ja, erfährt man so gegen Abend: Auch Annalena Baerbock ist ins Krisengebiet in NRW gereist, aber eher bescheiden unauffällig, ohne Pressebegleitung. Sie soll sich in Mainz mit der rheinland-pfälzischen Umweltministerin Anne Spiegel (einer Parteifreundin) persönlich ausgetauscht haben. Und morgen, Samstag, habe sie mehrere Termine in Nordrhein-Westfalen.

Das macht sie doch ganz sympathisch. Sicherlich steckt da auch Berechnung und Strategieberatung aus ihrem Team hinter. Ohne Pressebegleitung, ohne öffentliche Auftritte, ohne gummistiefelnde Alpha-Politiker*innen-Pose. Jedenfalls konterkariert es das von ihr in den letzten Wochen (Nein, natürlich KEINE Kampagne, Gott bewahre!) von Springerzeitungen und Twitter*innen und Facebooketten und Facebookern gezeichnete Bild einer bösartigen, durchtriebenen, mit dunklen hinterhältigen Motiven tätigen Frau, die versucht, sich auf niederträchtige Art und Weise an die Macht zu betrügen, und schnellstens als fehlbesetzte Kandidatin den Kampf um die Staatsführung aufgeben sollte. Ganz im Gegensatz zur gängigen, ehrlich-offenen, völlig unkorrumpierten, lobbyresistenten, kompetenten und altruistischen Art, mit der in Deutschland traditionell unsere durchweg honorigen Staatsführer*innen ins Amt kommen. Die eben einfach nur die Hitze in der Küche aushalten müssen.

Aber das war es schon, für mein Gefühl, heute mit Wahlkampf. Mal sehen, was das Wochenende bringt.

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