Der „Gutmensch“: er nervt schon seit 1848

„Ihr guten Menschen seid alle gleich: wenn es nach Euch ginge, kämen wir nie zum Baseballspielen!“

Als der „Gutmensch“ mir das erstemal begegnete, fand ich ihn anfangs noch sehr amüsant und treffend. Im „Wörterbuch des Gutmenschen“ von Klaus Bittermann (1994) machte er sich, wie  ich fand, zu Recht lustig über wohlfeile Betroffenheitsduselei mit ihren immer wieder wiederholten wohlfeilen Nervmetaphern (z.B. dem unsäglichen „Die Mauern in den Köpfen einreissen“).

Dann ergab es sich, dass mit dieser Injurie „Gutmensch“ all die belegt wurden, die der „Political Correctness“ („PC“) für schuldig befunden wurden. Als ich dabei zunehmend den Begriff  „Gutmensch“ hämisch verwendet hörte für Menschen, die es bewusst vermieden, „Neger“ oder „Asylant“ oder „Spasti“ zu sagen, fühlte ich mich zunehmend mitbeleidigt, da ich mir auch das Recht herausnahm, „gut“ sein zu wollen, ohne dass irgendwelche unempathischen Stammtischschwätzer mich beschimpften. Meist aus dem rechtskonservativ bis rechtsradikalen Milieu, aber: ich meine, auch bei Henryk Broder oder anderen Islamkritikern genüsslich selbstzufrieden diese „Alle-Menschen-sind-gut“-Naivlinge verhöhnt gelesen oder gehört zu haben. Die gleichzeitig ihr hinterfotziges Abwerten von Menschen, die fast immer auf der sozialen Leiter eher unten rangieren, auch noch als heldenhaften Widerstand gegen einen angeblichen PC-Mainstream adelten.

So oder so: dieses hässlich-unstimmige Wort „Gutmensch“ ging mir schon recht schnell gegen den Strich, und immer, wenn ich es verwendet sah, hörte ich hin und prüfte mich, ob ich da wieder mal nur humorlos auf Kritik reagierte, die durchaus einen treffenden Kern haben mochte, oder ob ich es zu Recht so widerwärtig fand, dass ich versucht war, auch den Verwender so zu sehen.

Der gute Mensch hat schon immer genervt

Die Idee des „Gutmenschen“, der vom ehrlich-authentischen  Normalmenschen wegen seiner übertriebenen Moralität zu Recht in seine Grenzen gewiesen wird, entdeckte ich dann zweimal in US-Filmen, die weit vor 1968 gedreht worden waren oder spielten:

„Ihr guten Menschen seid alle gleich: wenn es nach Euch ginge, kämen wir nie zum Baseballspielen!“

Das sagte einer der  Geschworenen aus dem Film „Die 12 Geschworenen“ (1957) mit Henry Fonda, als er wollte, dass sie endlich den Angeklagten des Mordes schuldig befinden, damit er nach Hause und dann zum Baseball gehen könnte. Mit dem „guten Menschen“ war der eine der Geschworenen gemeint,  der Zweifel an der Schuld des Angeklagten hatte und nach und nach alle anderen davon überzeugen konnte.

„Wenn ich immer diese Gutmenschen höre, wenn sie unsere Methoden kritisieren“,

erregte sich der berüchtigte Senator McCarthy im Film “Good Night, and Good Luck – Der Fall McCarthy” (2005). Hier war (jedenfalls in der deutschen Synchronisation) das Wort schonmal so ausgesprochen, wie es dann später alle verwendeten, denen der „übertriebene“ Einsatz für Menschenrechte, Gleichbehandlung, Frieden, Gerechtigkeit oder was auch immer gegen den Strich ging.

Der „Gutmensch“ hat trübdeutsch-antisemitische Wurzeln

Und dann las ich irgendwann mal in „LTI – Notizbuch eines Philologen“ des von den Nazis verfolgten Victor Klemperer, das er kurz nach dem 2. Weltkrieg schrieb (über die Sprache des Dritten Reiches, die „Lingua Tertii Imperii“), dass er sich schon 1946 mit der Beschimpfung der Guten befasst hatte:

Klemperer zitierte  Ernst Moritz Arndt,  der 1848 geschrieben hatte:

„Horcht und schaut euch doch ein wenig um, wohin diese giftige Judenhumanität mit uns fahren würde, wenn wir nichts Eigentümliches, Deutsches dagegenzusetzen hätten“.(LTI S. 166)

Klemperer schrieb auch, dass in der Sprache des Dritten Reiches, also der Sprache des Unmenschen,

„am häufigsten bei Rosenberg, entsprechend bei Hitler und Goebbels – das Wort Humanität nie ohne ironische Anführungsstriche und meist mit einem schmähenden Beiwort gebraucht wird“.(LTI S. 167)

Auf diese Verachtung des „Guten“, menschlichen, die die Nationalsozialisten am schamlosesten äußerten, wies auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) 2006 hin:

„Erstmals findet sich das Wort („Gutmensch“, C.K.) als Bezeichnung für die Anhänger von Kardinal Graf Galen, der gegen die Vernichtung lebensunwerten Lebens , also die Tötung körperlich und geistig Behinderter durch die Nationalsozialisten (schließlich mit Erfolg) gekämpft haben. Nicht klar ist, ob der Begriff von Josef Göbbels oder Redakteuren des Stürmer 1941 ersonnen worden ist. Gutmensch geht auf das jiddische a gutt Mensch zurück, womit von den Nationalsozialisten auch ein Bezug zu den lebensunwerten Juden hergestellt werden sollte. Adolf Hitler hat in seinen Reden und in Mein Kampf ebenfalls die Vorsilbe gut als abwertend verwendet. So sind für ihn gutmeinende und gutmütige Menschen diejenigen, die den Feinden des deutschen Volkes in die Hände spielen“.

Heute aber ist der Begriff im Munde all derer, die nicht ständig mit dem Missständen in aller Welt behelligt werden wollen; die nichtmal ihr Unbehagen daran äußern wollen.

„Man kann nicht immer nur der Gutmensch sein“,

sagte beispielsweise  eine Frau am 1.2.2009 in einem Einspieler in der Sendung Anne Will, als sie gefragt wurde, ob sie nicht ein schlechtes Gewissen habe, bei Lidl zu kaufen, obwohl da so schlechte Arbeitsbedingungen herrschten.

Hm, das ist schon wieder fünf Jahre her – möglich, dass mittlerweile zu viele Menschen sich zu unwohl dabei fühlen, bewusst den „Unguten“ zu geben, und deshalb das unselige Wort nicht mehr so oft in den Mund nehmen.

 

8 Gedanken zu „Der „Gutmensch“: er nervt schon seit 1848

  1. Ich habe gerade gemerkt, dass der tapfere Einzelkämpfer in „Die 12 Geschworenen“ von Sidney Lumet 1957 natürlich nicht Peter Fonda, sondern Henry Fonda war und habe das korrigiert.

  2. Schönes Traktat, falsches Traktat.

    Das Copyright auf „Gutmensch“ dürfte Mark Twain halten:
    „Der Gutmensch ist ein guter Mensch von der schlimmsten Sorte.”

    Lt. GdS (Gesellschaft für deutsche Sprache) kann eine Verwendung dieses Begriffs in der Nazipropaganda nicht nachgewiesen werde: “Unser Erstbeleg zu Gutmensch stammt aus dem Jahr 1985: In der US-amerikanischen Zeitschrift ,Forbes’ wurde Gutmensch auf den damaligen Gewerkschaftsführer Franz Steinkühler (IG Metall) bezogen.”
    Die Behauptung der Verwendung dieses Wortes im “Stürmer” bzw. in Goebbels- Reden stammt hauptsächlich von zwei Journalisten (Jürgen Hoppe, WDR, und Tom Schimmeck), die allerdings auf Nachfrage keine Quellen beibringen konnten. Es taucht auch in keiner mir bekannten linguistischen Abhandlung über die Sprache des Dritten Reiches, nicht einmal bei dem in dieser Beziehung zu Recht berümten Victor Klemperer (LTI) auf. „Humanität“ und „Gutmenschentum“ mögen assoziiert werden, sind aber nicht das Gleiche.

    „Gutmenschen sind Leute, die eine Rhetorik pflegen, die auch einen eigenen Namen hat: Political correctness. Political correctness (und damit das Gutmenschentum) setzt sich zusammen aus politischem Moralismus, Sprachhygiene und -tabus und einer puritanisch- lustfeindlichen Haltung.“
    (nach: Norbert Bolz, Prof. für Medienwissenschaft an der TU Berlin)

    • Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass es mir nicht um den exakten Begriff „Gutmensch“ ging, sondern um die Haltung, die dahintersteht, wenn man ihn verwendet. Ich bin anders als Sie der Meinung, dass der Hohn über „Humanitätsduselei“ dem über „Gutmenschentum“ entspricht.
      Sie zitieren ja selbst eine allgemein anerkannte Definition: „Gutmenschentum“ ist „Political Correctness“, also „politischer Moralismus“ (muss man wirklich jedes angezündete Asylbewerberheim bejammern?), Sprachhygiene (warum darf man nicht mal „ die Bimbos abschieben oder gleich erschießen?“ und eine „puritanisch-lustfeindliche Haltung“ (im Gegensatz zur nichtpuritanischen, lustvollen Haltung des Anti-Gutmenschen Norbert Bolz zur Homosexualität).
      „Gutmensch“ ist also zu einem eindeutig definierten politischen Kampfbegriff geronnen, egal, wie anders ein Mark Twain über ihn milde und nachdenklich gespottet haben mag (wo und wann eigentlich? Ich habe ihn, allerdings „nur“ bei einer online-Recherche, nirgendwo in einem seiner Werke entdecken können) Er wird heute mit der gleichen üblen Absicht verwendet, wie es im 19. Jahrhundert Ernst Moritz Arndt mit seiner „giftigen Judenhumanität“ tat, und später die Nazis, die todesgefährlichen Hohn über die Gegner ihrer millionenfachen Mordpolitik ausschütteten.
      Selbst in den deutschen konservativen Kreisen, in denen man ihn eigentlich gerne gebrauchte, scheint man sich mehr und mehr bewusst zu werden über die Schmuddelgesellschaft, in die man sich mit dem „Gutmenschen“-Spott begibt:
      „Gutmensch sagen eigentlich nur noch Nazis und Idioten ohne sprachliches Feingefühl. Und manchmal – immer noch – Leute, die eine Klammer auf der Nase haben und von dem üblen Geruch nichts mitbekommen“, schrieb vor einigen MonatenMatthias Heine in der „Welt“. Er führt übrigens die Erfindung des Wortes auf den Pädagogen Christian Oeser 1859 zurück.

      • Der Begriff „Gutmensch“ bezeichnet heute Menschen, die eine unregulierte Masseneinwanderung als alternativlose Lösung/Sofortmaßnahme von Krieg und Ausbeutung halten. Menschen, welche andere Wege (Ursachenbekämpfung, verstärkte Hilfe der UNHCR anstatt ihr finanzielles Austrocknen, etc.) als nicht diskutabel/ausreichend ansehen. Auch das Argument der Lohndrückerei und des „Ausbluten“ der Immigrationsländer wird verworfen. Auswirkungen unregulierter Migration werden als Einzelfälle abgetan oder sonstwie relativiert, kulturelle Divergenzen (Kinderehe, Stellung der Frau etc) als Multikulti verharmlost. Hinter der Nutzung des Begriffs „Gutmensch“ gleich nationalistische/rassistische Gründe pauschalisiert zu unterstellen, geht an der Wirklichkeit vorbei. Es gibt eine Bandbreite der Anwendung des Begriffs, nach Mark Twain (Onkel Toms Hütte?) über Broder bis hin zur rechtsradikalen/nazistischen Anwendung des Begriffs. Auch wird es vermutlich verschiedene Ursprünge geben. Die Frage, die sich stellt, darf man den Begriff noch benutzen (i. S. Twains oder i. S. Borders als Zeichen ), wenn er auch missbraucht wird bzw worden ist? Ich tendiere eher zu einem Ja, denn sonst wäre Deutungshoheit ja den Rechtsradikalen überlassen.

        • Der Gutmenschenbegriff wird derzeit für jeglichen Kommentator verwendet, der die unbedingte Abschottung,

          -der deutschen,eventuell auch europäischen Population
          -des deutschen,eventuell auch europäischen Arbeitsmarkts
          -des deutschen,eventuell auch europäischen Finanzhaushaltes
          kritisiert.

          Der Gutmenschenbegriff wird derzeit darüber hinaus für jeglichen Kommentator verwendet,

          -der gegen die Todesstrafe ist
          -der auch ansonsten hinter den wesentlichen Inhalten des Strafgesetzbuches steht
          -der das Grundgesetz verteidigt
          -der dieses Gesetz als gültig anerkennt (und sei es auch nur de facto)
          -einen tieferen Sinn hinter diesem Gesetz erkennt und kein bloßes Siegerdiktat
          -der die parlamentarische Demokratie vom Wesen her als denkbares politisches System versteht
          – einen kritischen Umgang mit den Medien pflegt und den Nachrichten der DPA mindestens so viel Interesse schenkt, wie den Nachrichten von RT-Deutschland.

          Für mein dafürhalten ist dieser Begriff damit überstrapaziert und so unscharf und /oder populistisch dass man es damit auch bitte besser lassen könnte.

          Nenn mich einfach Blödmann, wenn du mich oder meine Ansichten scheisse findest…

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