„Vielleicht kommt’s schon im Fernsehen!“

Notre-Dame brennt – und es gibt keinen ARD-Brennpunkt!

Es ist schon ziemlich lange her, da gab es einen Sketch im Fernsehen von Gerhard Polt. Er, als grummelige bayerische Sofakartoffel sieht aus dem Fenster und sieht ein Haus in der Nachbarschaft brennen. Er spekuliert ein wenig darüber und sagt dann zu seiner Frau: „Mach mal das Fernsehen lauter, vielleicht bringen sie es in den Nachrichten“.

Er hat das Feuer im Blick, gleich nebenan. Eine Bedeutung aber bekommt es erst, wenn es im Fernsehen kommt.

Und zwar nicht deshalb, weil er dann mehr über das Feuer weiß. Sondern weil etwas, was im Fernsehen kommt, eben etwas besonderes war. Und für manch einen bis heute etwas besonderes ist.

Ich erinnere mich noch, wie ich am 11. September 2001 bei der Arbeit eine erste Agenturmeldung las: Ein kleines Flugzeug sei in einen Turm des World Trade Centers geflogen, und das Dach des Gebäudes brenne. Ein Kollege und ich kannten damals den Polt-Sketch, deshalb sagte ich, scherzhaft gemeint: „Mach mal an, vielleicht kommt’s schon im Fernsehen“. Und da war es dann wirklich schon überall im Fernsehen, und man kam nicht mehr weg vom Bildschirm.

Als im Jahr 2009 die konstituierende Sitzung des Bundestages „nur“ vom ARD/ZDF-Ereigniskanal Phoenix übertragen wurde, statt vom Ersten oder vom ZDF, zeigte sich der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in der Sitzung selbst pikiert: Obwohl die Öffentlich-Rechtlichen also jedem Menschen im Lande per Phoenix die Eröffnung des Bundestages zugänglich machten, reichte es ihm nicht: Programmgestaltung ist – das wurde mir damals klar – für Politiker, die zur Ehrpusseligkeit neigen, nicht nur eine Sache des reinen Berichtens, sondern hat auch sehr starke zeremonielle Funktionen, und er betonte das auch danach noch einmal durchaus beleidigt klingend zu uns Journalisten:

Nun hat Notre Dame in Paris gebrannt. Zehn Minuten vor 19 Uhr hat das Feuer wohl begonnen. In den ZDF-Heute-Nachrichten um 19 Uhr konnte das nur erstmal so vermeldet werden. Mehr dazu war noch nicht bekannt. Die ARD-Tagesschau berichtete es dann um 20 Uhr an dritter Stelle, aber ausführlich und berichtete all das, was es bis dahin zu berichten gab. An dritter Stelle – auch das kann Politiker, die immer auf Etikette, auf Abstufung, auf Rangfolgen achten, schon empören, da Ihnen das – auch für sich selber – natürlich immer sehr wichtig ist. Egal, wie betroffen ein Ereignis macht: Für Gedanken darüber, wem man noch eins auswischen kann, oder wie man etwas für politische Botschaften instrumentalisieren kann, hat der mitfühlendste Landesvater noch Platz in seiner schockierten Trauer. Warum wurde das Programm nicht spektakulär unterbrochen, da muss was dahinterstecken! Wird man ja zumindest mal anmerken dürfen!


Und dann verlangen auch noch selbst ehemalige ARD-Journalisten, die vielleicht (z.B. als Leiter eines Hauptstadtstudios) durch ihre Nähe zur Politik selbst auch von diesem zeremoniellen Denken angesteckt worden sind, gleich nach den Nachrichten noch nach einem „Brennpunkt“, in dem nach 10 Minuten alles nochmal wiederholt wird. Ein „Brennpunkt“, so redundant und journalistisch überflüssig er sein mag, wird gerne routinemäßig gefordert, damit sich die ARD eben zur Bedeutung eines Ereignisses „bekennt“.

Ja, es war vielleicht ein Versäumnis der ARD und des ZDF, keinen Ü-Wagen hinzustellen, der das Feuer filmt, während ein Reporter vor Ort immer wieder das gleiche erzählt, weil er auch erstmal nicht viel neues erfahren kann. Und dass das Ereignis nicht – wie in den späteren Sendungen, in denen auch schon viel mehr berichtet werden konnte – an erste Stelle gesetzt wurde, wurde auch nicht nur von Politikern, sondern auch von öffentlich-rechtlichen Kollegen selbst auch kritisiert – wenn natürlich auch nicht mit diesem immer irgendwie drohenden Unterton aus der Politik, der immer auch irgendwie das dumpfe Gefühl vermitteln soll, dass jederzeit die Existenzfrage für ARD und ZDF gestellt werden könnte, oder dass die Politik auch irgendwann mal die Geduld mit diesen verlieren könnte, wenn da sich nicht mal was ändert. Diese leichte bis mittlere Drohkulisse als Gefühl aufrechtzuerhalten, kann ja gerade für Politiker durchaus sinnvoll erscheinen, die unter den Stimmengewinnen der AfD leiden, die lieber einen Staatsfunk à la Polen oder Ungarn oder Russland hätte.

Ein RTL-Kollege stellte dann sympathischerweise das fest, was Herrn Laschet entgangen war:

Die Kritik wäre ja okay: man kann darüber streiten, ob man nicht mehr auch das Bedürfnis nach Dabeiseiwollen der Zuschauer hätte bedienen sollen, wie N-TV, CNN und natürlich das französische Fernsehen. Nur hat die Kritik gerade aus der Politik immer eben diesen Unterton. Und „Tagesschaugate“ ist natürlich schon reinstes Framing. Man muss immer aufpassen, dass nicht Legenden erzählt und zu historischen „Wahrheiten“ werden, die man gerne über die Öffentlich-Rechtlichen verankern möchte. Wie die, dass ARD und ZDF angeblich die Maueröffnung am 9. November 1989 verpennt hätten.

Was ich eh nie verstehen werde: Es ist ja nicht so, dass ARD, ZDF, und auch die Radiowellen der ARD nicht über den Brand von Notre Dame berichtet hätten. Und dass die Kolleginnen und Kollegen in Paris nicht schwer aktiv gewesen wären, berichtet und getwittert hätten. Und auch am nächsten Tag nicht berichtet hätten, Hintergründe geliefert hätten, vertieft hätten und und und. Warum ausgerechnet diejenigen, die gerade nicht am Wettbewerb teilnehmen, die schnellsten, die ersten zu sein, die eine Meldung haben, plötzlich dies als Kriterium anlegen, ob ein Medium seinen Job gut oder schlecht erledigt hat. Das ist eine rein sportliche Geschichte unter Journalisten. Für den Nutzer, den Hörer, den Leser ist das völlig irrelevant, ob er eine Information von den einen 30 Sekunden schneller bekommt als von den anderen. Mir als Leser, Hörer, Zuschauer geht es eher darum, gut recherchierte Informationen und Einschätzungen zu erhalten. Die mögen gerne kritisiert werden, wenn sie nicht gut waren, oder gar falsch. Aber ob ein Medium bestimmte Stimmungen und erhabene Gefühle oder ein voyeuristisches Bedürfnis transportiert hat, die ein Politiker ostentativ von einer Berichterstattung verlangt, sollte dabei keinerlei Rolle spielen.


Eine brennende Kathedrale live im Hauptprogramm wäre auch eher „Desaster Porn“, meint Thomas Lückerath.

Es war kein Terroranschlag, keine Naturkatastrophe und es bestand keine akute Gefahrenlage für Menschen, kommentiert der „Stern“. Und dass es in Deutschland keinen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender gibt, wie die privaten n-tv, CNN oder das russische Staatsfernsehen RT, das sollte Armin Laschet selbst wissen: Denn „die Politik“, zu der er gehört, will das nicht – und die Verleger, deren Journalisten ARD und ZDF kritisieren, schon gar nicht.

Das Hauptprogramm der Öffentlich-Rechtlichen ist kein Platz für faktenarme Sensationsberichte, meint Christoph Sterz im Deutschlandfunk.

17.04.2019: Ich habe korrigiert: Die ARD-Tagesschau um 20 Uhr hatte den Brand an dritter Stelle, nicht, wie ich fälschlich (mich falsch erinnernd) schrieb, an zweiter Stelle.

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