Das Ende des Internets und der Freiheit? Oder ein neuer Fall von schwarz gegen weiss?

Ich muss zugeben, dass das Thema der Urheberrechtsrichtlinie, über die das EU-Parlament am Dienstag, 26. März 2019 abgestimmt hat, länger nicht zu meinen Kernthemen gehörte. Es drang immer nur an mein Ohr, dass sie sehr umstritten ist, und dass alle, die sich gegen mächtige Konzerne und Lobbies wehren, gegen diese Richtlinie sind. Die Bedenken dagegen schienen – gemessen an dem Engagement derer, die sich sehr emotional dazu äußerten – sehr schwerwiegend zu sein. Vor allem die Jugend, die noch nicht in Abhängigkeiten mit mächtigeren und einflussreicheren Kräften dieser Welt verstrickt ist, hat sich noch den frischen und freiheitsliebenden Blick auf das bewahrt, was da unheilvoll die Freiheit des Wortes, des Bildes, des kreativen Schaffens aufs höchste gefährdet.

Sie sind so alarmiert, weil Artikel 13 (jetzt 17) dazu führt, dass bald Youtube und das ganze Internet tot sind. Youtube muss Uploadfilter einbauen, um nicht in Konflikt mit dem Gesetz zu kommen, weil es ja hilflos wäre: Das kleine, sympathische Start-up aus den USA müsste schier an der Masse des ständig hochgeladenen Materials scheitern. Wie soll es zugelassene Zitate, Satire, Persiflage und anderen uneigentlichen Umgang mit Kreativprodukten von unzulässiger Verwertung von urheberrechtsgeschützten Inhalten unterscheiden?

Die Mega-Plattformen: Da sind sie überfordert, die Armen!

Youtube, Facebook oder Google: Die können schon allerhand: Sie können mir, als einem von Milliarden Nutzern punktgenau die Werbung schicken, die sie aus meinem Nutzerverhalten berechnen. Sie entdecken, wenn sie das wollen, jede Brustwarze auf einem Foto und können diese sofort entfernen. Sie können mir sagen: „Hey, Du hast doch dieses Video von xy geguckt, und hast dies geliked und jenes geteilt – dann ist das hier mit Sicherheit auch mal interessant für Dich – gucks dir mal an!“

Aber: Eine Lösung für die Anforderung, dass sie jetzt prüfen müssen, ob ein Inhalt, den jemand hochlädt, für jemand anderen geschützt ist, können die vielen, vielen Algorithmen-Entwickler bei den großen Plattformen nicht finden. Das soll der kleine Youtuber selbst im Zweifel mit einem Abmahnanwalt ausfechten. Naiv was hochgeladen – und plötzlich Anwaltspost und € 800 Abmahnkosten an der Backe – das soll so bleiben? Ist das nicht am bequemsten für die Großen? Ich nehme mal an: Ja!

Deshalb: Lieber gegen die Kleineren?

Und die, die auf Demonstrationen die raffgierigen Verlage und die von ihnen beeinflussten Politiker als Feinde der Freiheit anklagen, wenden ihre Wut seltsamerweise gerne gegen den Großverlag (größer als Google?), genauso wie gegen den kleinen Verlag, den prekär arbeitenden freien Journalisten und gegen SPD-, CDU- oder Grünen- Parlamentarier, die die großen Plattformen dazu heranziehen wollen, einen Bruchteil ihrer Milliardengewinne ( die sie auch noch so gut wie gar nicht versteuern) denen zukommen zu lassen, von deren Ideen und erarbeiteten Kulturprodukten sie profitieren.

Man inszeniert sich als David gegen Goliath. Den 100fachen Goliath, der auf der eigenen Seite kämpft, hat man nicht auf dem Schirm.

Nein, der zahlt uns keine Demo-Gelder, das ist Verleumdung! Richtig: Über solche Unterstellungen darf man empört sein.

Aber nicht über üppig ausgestattete Netzinitiativen wie „Create Refresh„, in der Künstler ernsthaft das Ende des Internets als reale Gefahr durch das Handeln der EU beschwören. Oder über Angebote an Influencer, ihnen Geld zu bezahlen, wenn sie sich in ihren Videos gegen die Richtlinien wenden (Wie es die FAZ recherchiert haben will) Das wird ausgeblendet, wenn man den Lobbys der anderen Seite vorwirft, sich die Zustimmung von Abgeordneten mit teuren Essenseinladungen zu erkaufen.

Warum diese Wut?

Warum eigentlich diese Empörung, diese Empörten, die mir im Zweifelsfall nicht sachlich erklären können, warum das Ende der Freiheit und des Internets kurz bevorsteht? Und warum YouTube und Facebook damit überfordert sind, Uploadfilter zu vermeiden?

Denn – siehe die Nippel – die können doch schon allerhand: Manchmal WOLLEN sie ja bestimmte Inhalte nicht zeigen, zum Beispiel, damit sie keinen Ärger mit US-Evangelikalen bekommen. Und – was ich verstehe und begrüße: Youtube und Facebook wollen nicht, dass ich alle Spielarten von Pornographie auf ihren Seiten konsumieren kann: Das also wird ziemlich zuverlässig verhindert, obwohl es bestimmt immer mal wieder versucht wurde und wird.

Upload-Filter? Gabs doch schonmal!

Und vor allem: wie war das denn zwischen 2011 und 2016? Wenn ich da in Deutschland Musikvideos bei Youtube schauen wollte, ging das sehr oft schief: Es kam nur dieses schwarz-weisse Rauschebild und die Mitteilung, dass das Video in meinem Land nicht gezeigt werden dürfe, weil Youtube und die deutsche GEMA sich nicht einigen konnten. Damals hatte ich brav und naiv ein Filmchen hochgeladen, das den Umzug zur „Bernemer Kerb“ in Frankfurt zeigte, einfach, weil ich es nun mal gedreht hatte, und als ich mal nach dem Rechten schaute, wie sich mein Video dort so machte, war es plötzlich nicht mehr abrufbar. Rauschebild. Warum? Ich konnte es mir nur so erklären, dass die Musikkapellen im Video urheberrechtsgeschützte Schlager dahinpäperten, meist nur wenige Sekunden lang, aber schon das war nicht erlaubt.

Irgendwann dann aber war es wieder möglich: Denn Youtube und die GEMA hatten sich eben geeinigt. Und Youtube ist damit nicht in die roten Zahlen gerutscht.

Warum wohl? Youtube hat doch ein Interesse daran, dass sein Angebot möglichst umfassend ist, und dass User nicht ständig frustriert werden, weil irgendwas wieder nicht gezeigt werden darf. Also haben Sie eine Lösung gefunden: Geld ist geflossen und fließt weiter, und alle sind es zufrieden. Was wollen Menschen mehr, die etwas kreativ getextet, komponiert, gezeichnet oder sonstwie entworfen haben, als für die Nutzung dessen honoriert zu werden?

Lizensieren und gut is: Uploads bis zum Abwinken!

Youtube und Facebook und welche Plattform auch immer können gleiches tun für noch nicht lizensierte Inhalte. Pauschale Vergütungen aushandeln für jeden, dessen Inhalte auf der Plattform von anderen verwendet werden. Bezahlt vom Plattforminhaber. Wo ist das Problem, außer dass die möglicherweise keinen Bock darauf haben könnten und lieber mit Uploadfiltern und einem Ende des Internets drohen?

„Die Richtlinie ermöglicht umfassende Lizenzierung, sie besagt sehr klar, dass dadurch keine grundsätzliche Filterung nötig ist, sie verbietet Überwachung, untersagt Overblocking wie auch die Erhebung personenbezogener Daten. Sie gibt Privatuploadern sogar einen Rechtsanspruch auf die Veröffentlichung legitimer Inhalte. Diese User haben bislang wohlgemerkt keinerlei Ansprüche, sind dafür aber vollständig in der Haftung“, schreibt der freischaffende Filmkomponist Matthias Hornschuh.

Das heisst also, wenn ich es richtig verstehe: Auch der Youtuber Lefloid, der sich in seinem Video über die Öffentlich-Rechtlichen beschwert, die seine Videos verwendeten, hätte diesen Anspruch – zusätzlich zu dem, was ihm Youtube an Geld zukommen lässt, das er wiederum auch mit urheberrechtsgeschützten Inhalten anderer verdient (falls er welche benutzt).

Aber: Die Youtuber sind und bleiben sauer – weil – „das fickt uns alle“!

Warum also schlagen bei der jetzt vom Europaparlament beschlossenen Neuregelung die Emotionen so hoch? Warum wollen Youtuber nicht, dass Kreative, deren Produkte sie benutzen und die womöglich urheberrechtsgeschützt ist, dafür den ihnen zustehenden Obulus bekommen? Warum verlieren Youtuber wie „KuchenTV“ („es gibt sooo viele gute Argumente dagegen!“) oder „Lefloid“ („den unfassbar machthabenden Rechteverwertern“, „dann soll Euch Google mal komplett aus seiner Suchmaschine rausnehmen“) oder „Tanzverbot“ („Im Endeffekt fickt uns das alle“) in ihren Videos dazu die Fassung, sind aber nicht fähig, auch nur ein nachvollziehbares Argument zu nennen, das ihre Behauptung, wir bewegten uns schnurstracks auf eine massive Zensur zu, überzeugend belegt?

Gut – sollte YouTube es nicht schaffen, mit Algorithmen und vielleicht sogar menschlichen Mitarbeitern an ihren Bildschirmen alle hochgeladenen geschützten Inhalte zu identifizieren, und wenn Youtube eben keinerlei Anstalten macht, urheberrechtsgeschützte Inhalte zu lizensieren, könnten manche Inhalte nicht hochgeladen werden. Wie es das ja schonmal gab – als Youtube und die GEMA seinerzeit uneins waren. Ist das die böse EU schuld oder trifft die Schuld nicht vielmehr die unwilligen Plattformen?

Aber: Zensur? Wenn ich mir am Kiosk eine Zeitschrift mitnehmen will, zahle ich den Preis und beschimpfe den Kioskbesitzer nicht, er verweigere mir den freien Zugriff auf Inhalte, die mir kostenlos zustehen.

Was zum Beispiel wird an diesem Meme künftig zensiert werden können?

Alles falsch? Was raffe ich da nicht?

Verharmlose ich damit etwas, was im Internet aktive Kreative als alarmierend anklagen? Ist das politische Engagement der Youtube- Generation nicht gut und wichtig?

Also: Die Richtlinie, wie sie jetzt verabschiedet wurde, ist nicht in allem gut. Etwa Artikel 12, der tatsächlich jetzt wieder einen größeren Teil der Urheberrechtseinnahmen von den Autoren und anderen Kreativen in die Kassen der Verlage leiten soll. (Disclaimer: Solche Einnahmen aus der VG Wort habe ich auch, und auch ich wäre davon betroffen).

Und es gibt ja durchaus auch Einwände, die, gerade für kleinere Plattformen doch Uploadfilter befürchten und die mich ins Nachdenken bringen – weil es doch manche gibt, die sie formulieren können, wie hier.

Andererseits sind durch die vielen Kritiker im EU-Parlament in die ursprüngliche Vorlage zahlreiche Verbesserungen, etwa für kleine Plattformen und Start-ups hineinverhandelt worden.

Was ich nur irgendwie nicht hinnehmbar finde, ist die Irrationalität und das manchmal völlig Ausgerastete dieser Anti-Urheberrechtsrichtlinien-Bewegung.

Diese Shitstorm- Mentalität der vielen darin Engagierten. Nachzulesen bei Twitter. Auch wenn der verantwortliche CDU-Mann Axel Voss im Europaparlament unglücklich und dumm agiert haben mag, und das Internet nicht „versteht“: #NieMehrCDU?

Meinetwegen, aber doch nicht deshalb!

Statt #NieMehrCDU lieber #FridaysForFuture!

Meinetwegen, weil die Union und andere immer noch in der Klimapolitik so von Lobbies gesteuert agieren, dass die junge Generation zu Recht um ihre Zukunft bangen muss. #FridaysForFuture – da sind empörte und die Fassung verlierende Influencer auf der richtigen Party!

Aber den Impetus dieser wichtigen weltweiten Bewegung mit gleicher Intensität auf eine europäische Urheberrechtsrichtlinie zu richten; ein apokalyptisches Ende der Freiheit und eine Diktatur der Verlage und der Politik zu beschwören – das fühlt sich für mich politisch völlig falsch an: Die falschen Gegner, die falschen Verbündeten, oder wenn richtige Gegner, mit den falschen Argumenten bekämpft.

Aber: Geiles Wahlkampfthema für die Europawahl

Es ist allerdings so: es ist nichts Neues, dass man das Spiel „Schwarz gegen Weiss“ in der Politik spielt. Und deshalb wird die Debatte mit verqueren Emotionen weitergehen: Parteien, die Stimmen der Empörten bei der Europawahl wittern, positionieren sich gerade schon: „Wir denken jetzt ganz genau wie ihr!“ säuseln sie, wie FDP- Chef Christian Lindner.

Es wird im Wahlkampf – das ist zu befürchten – nur um Emotionen gehen. Vielleicht irre ich mich, und ich habe das grundsätzlich Berechtigte an den Protesten nicht verstanden. Und es wird vielleicht Talkshows und andere Formate – bei YouTube sogar? – geben, nach denen auch ich jetzt von der Gefahr von Zensur und vom Ende des freien Internets und der Verwerflichkeit des Schutzes von Urheberrechten im digitalen Zeitalter logisch überzeugt sein werde.

Erstmal aber nicht.

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