Sie hat Burkini gesagt!

Heinz Buschkowsky galt als der gestrenge Bürgermeister von Neukölln. Sozi zwar, aber skeptisch gegenüber „Multikulti“ und jemand, der Missverhalten und Kriminalität von Migranten in seinem Bezirk nicht beschönigte, öffentlich anprangerte und dagegen vorging. Diese Linie fuhr auch seine Nachfolgerin und Genossin Franziska Giffey. Sie führte aber auch seinen Weg fort, Probleme mit der Integration nicht nur zu beklagen, sondern in der alltäglichen politischen Arbeit konkret anzugehen. Wie erfolgreich diese Politik insgesamt war und ist, mag umstritten sein. Einige Erfolge gab es aber sicherlich auch. Wohl auch, weil das gestrenge und gleichzeitig konstruktive Vorgehen dieser Art von Politik auch manchmal einfach etwas bewirken muss. Buschkowksy und in geringerem Ausmaß auch Giffey galten vielen auf der Rechten als willkommene Kronzeugen gegen andere auf der Linken.

Jetzt aber scheint es auch die Ex-Bürgermeisterin, die inzwischen Bundesfamilienministerin geworden ist, zu treffen.

Bundesfamilienminister Franziska Giffey (SPD) hat bei einer Matinee der „Zeit“ am Sonntag gesagt, dass es notfalls vertretbar wäre, wenn Mädchen im Schwimmunterricht einen Burkini trügen. Natürlich wird das medial verkürzt auf „Giffey zeigt sich offen für Burkinis im Schwimmunterricht“. Automatische Reaktion: Burkini. Islam. Frauendiskriminierung. Unterwerfung!

Wenn man sich mal anhört, wie sie über das Thema geredet hat – nachzuhören im Video der „Zeit“:

https://www.zeit.de/…/zeit-matinee-es-gibt-ein-paar-maenner…

Ab etwa 1 Stunde, 9 min, hört man eine Politikerin, die engagiert aus ihrer Neuköllner Bürgermeisterzeit erzählt. Wie sie dort den „Neuköllner Schwimmbär“ eingeführt haben. Wie sie mit diesem einfühlsamen Programm Kindern das Schwimmen beigebracht haben, die noch nie außerhalb der Badewanne Wasser kennengelernt hatten. Wie sie damit die Zahl der Drittklässler, die nicht schwimmen können, von 40% auf 20% reduziert haben. Wie, nachdem ein Mädchen aus dem 1. Schuljahr bei einer Klassenfahrt ertrunken war, plötzlich viele Eltern ihre Kinder freiwillig zu diesem Schwimmunterricht schickten. Wie andere weiter unwillige Eltern mit einem Bussgeld dazu bewegt wurden. Aber wie andere immer noch ihre Mädchen mit einem ärztlichem Attest nicht schicken.

Ich weiss nicht, was ansonsten alles gegen diese Politikerin spricht. Aber: Da spricht eine Frau engagiert aus ihrer Praxis. Die die Verhältnisse kennt, die pragmatisch handelt und dennoch auf Werten besteht. Sie erzählt hier z.B., warum sie es nach wie vor für richtig hält, dass sie in Neukölln eine Rechtsreferendarin nicht eingestellt haben, die, selbst als Vertreterin des Bezirks vor Gericht, das Kopftuch tragen wollte. Giffey: eine Frau, die bestimmt nicht vor islamistischer, frauenfeindlicher Ideologie einknicken will. Und hier sagt: Das wichtigste ist: Die Kinder müssen schwimmen lernen. Schwimmen ist eine Überlebenstechnik.

Aber jetzt sitzen da wieder viele draußen, die es besser könnten. Die den Eltern halt die Polizei auf den Hals schicken würden, um notfalls zwangsweise die Mädchen zum Unterricht abzuholen?

Burkini – notfalls ja, sagt Giffey. Nein, ich finde ihn nicht unproblematisch, sagt sie auch. Diese differenzierte Meinung sollte nichts „mehr in der Nähe eines Politikprozesses verloren“ haben, meint Seyran Ates, Muslimin UND Frauenrechtlerin.

Und die Alternative? Was für Leute wollen wir denn „in der Nähe von Politikprozessen“ haben? Leute, die für die tagtäglichen Probleme an der Basis nicht konstruktiv nach vertretbaren Lösungen suchen? Leute, die nur noch eine ideologisch geprägte schwarz-weiss-Weltsicht haben, keine Grau- und Zwischentöne mehr sehen wollen? Die das, was konstruktive und pragmatische Politiker aus ihrer Praxis erzählen, denen sofort hämischst und empörtest um die Ohren hauen, nachdem sie sich diese Berichte zurechtgekürzt und zurechtgeschnitten haben, damit die Empörung so richtig schön passt?

Dadurch haben viele schon längst den Maßstab dafür verloren, welche Probleme in welchem Ausmaß bestehen und wie man sie angemessen löst:

Einige wenige tausend Flüchtlinge kommen trotz Einreiseverbot zurück: Lasst uns deshalb CDU/CSU, Europa und die politische Kultur über Bord werfen, und dazu die AfD nochmal mehr stärken. Weil das Thema gerade so schön zu emotionalieren ist.

Mehr Kinder sollen schwimmen lernen, damit sie nicht ertrinken könne, notfalls mit Burkini, wenn es nicht anders geht (nur dann): Wir an den Computertastaturen und Smartphones da draußen, die damit nicht zu tun haben, nehmen übel, verurteilen, haben unsere aber sowas von gefestigten und nicht in Frage gestellten Meinungen: Das ist der Untergang des Abendlandes (Franziska Giffey ist sich darüber im klaren: Es geht einmal mehr um reine Symbolpolitik. Symbolpolitik, die sich immer weiter von der Wirklichkeit entfernt. Die eigentlich nur dem Rechthabertum und dem parteiischen Auftrumpfen dient).

Oh, man! Hört das nicht vielleicht endlich mal wieder auf? Kann der Diskurs nicht differenzierter, un-apodiktischer, konstruktiver werden? Einfühlsamer, achtsamer, offener für vielleicht weise, sogar überraschend effektive Lösungen?

Nein, abgelehnt? Ja, dachte ich mir schon

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