Rentenangst und Wachstumsglaube: Unverträgliche „Spins“?

Wir sind in der Informationsgesellschaft ständig neuen „Spins“ ausgesetzt; tagtäglich erhalten wir die Ergebnisse neuer Studien und Erkenntnisse, die uns entweder alarmieren, beglücken, aufregen oder ratlos lassen.
Dem Normal-Mediennutzer – also dem, der vor allem Schlagzeilen und kurz auf den Punkt gebrachte Erläuterungen dazu konsumiert – bleibt dabei oft nur das Gefühl übrig: „Immer ist irgendetwas ärgerliches, zum Beispiel mit…. der Rente“.
So wie heute: Politik und Medien sind ganz aufgeregt über eine neue Bertelsmann-Studie: Das „Focus“-Magazin titelt: „Schon wieder Ärger mit der Rente. 77.000 Euro zu viel eingezahlt: Das deutsche Rentensystem beutet unsere Kinder aus“.

Quintessenz dieser Studie: Väter, Mütter und Kinder werden durch unser Rentensystem benachteiligt, Kinderlose profitieren, oder: „Wer Kinder hat, zahlt drauf“.

Das wird vorgerechnet, und das mag auch stimmen. Die Studie schlägt zwei mögliche Lösungen vor: Einmal, dass Eltern bei der Rente Freibeträge bekommen, so wie bei der Steuer; also weniger einzahlen als Kinderlose; für weniger eingezahlte Beiträge also die gleiche Rente bekommen.

Oder – als Alternative: Eine Kombination aus Basisrente, Kinderrente und obligatorischer Sparrente.

Die grundlegende These der Altersvorsorge-Fachwelt (und der Politik allgemein) ist immer (und die dient auch in dieser Studie wieder als Basis): Wir haben weniger Kinder, mehr Alte, also müssen weniger Kinder per Umlage für mehr Alte zahlen, und das sei ungerecht gegenüber den weniger werdenden Jüngeren.

Was mich dabei immer wieder konsterniert, ist der Widerspruch in den verschiedenen, oben erwähnten „Spins“, denen wir ausgesetzt werden:

Beim Spin „Das Rentensystem ist nicht demographiefest und wird uns in ein paar Jahren um die Ohren fliegen“ gehen die Fachleute immer von einer Wirtschaftstheorie aus, in der alles statisch gleich bleibt: Wir arbeiten, wir produzieren mit unserer Arbeitskraft pro Stunde genauso hohe Werte wie vor 10, vor 50 oder vor 100 Jahren, und um einem Ruheständler seine Rente zu zahlen, braucht man immer gleich viele, die arbeiten und die immer den gleichen Rentenbeitrag zahlen. Weil aber das Verhältnis alt zu jung sich ändert, stehen wir vor einer Katastrophe:  „Bevölkerungswissenschaftler gehen davon aus, dass im Jahr 2050 sechs Rentner auf zehn Erwerbsfähige kommen – doppelt so viele wie heute„.

Gleichzeitig aber bekommen wir aus der Politik und aus der Wirtschaft wieder und wieder einen anderen Spin aufgetischt: „Unsere Wirtschaft ist wettbewerbsfähig gegenüber anderen Ländern, sie gehört zu den wettbewerbsfähigsten Wirtschaften der Welt, wir müssen aber immer noch wettbewerbsfähiger werden, damit uns andere nicht überholen und ausstechen“. Das heisst aber nicht anderes als: Unsere Produktivität ist heute viel höher als 1900, oder 1950, oder 1970. Sie wächst im nie endenden globalen Wettbewerb, und sie wird auch immer weiter wachsen („wenn ihr nur mich wählt“). Ein Arbeitnehmer ist also auch viel, viel produktiver als früher. Für ein Pfund Butter oder für ein Auto muss er viel weniger arbeiten als 1955. Und er muss eben auch für einen Rentner weniger arbeiten als früher. Also kann er, wenn man den Rentenbeitrag, der von seinem Arbeitslohn abgeht, gleich hält, mehr Rentner finanzieren.

Natürlich gibt es heute nicht nur mehr Rentner, sondern: sie leben auch länger. Deshalb ist der Rentenbeitrag auch höher als vor 40 oder 50 Jahren. Aber: Selbst diesen höheren prozentualen Rentenbeitrag müssten wir uns doch auch noch leisten können, weil ja ingesamt unser Lebensstandard massiv gestiegen ist.

Das ist jetzt sehr einfach und sehr grob gerechnet, und ich mag etwas wichtiges übersehen haben. Aber ich stelle ja auch nur eine ebenso einfache und grob gerechnete Behauptung in Frage: Nämlich die, dass unser bisheriges Rentensystem wegen des demographischen Wandels bald nicht mehr finanzierbar sein werde.

So etwas, meine ich, dürften die gleichen Politiker, die immer von steigendem Wachstum, von steigender Wettbewerbsfähigkeit, von wachsender Produktivität sprechen, nicht einfach behaupten. Sie müssten mir erst einmal sagen, warum wir nicht trotz mehr Alter und weniger Jüngerer durch unsere steigende Produktivität weiterhin genügend Geld in die Rentenkassen bekommen können. Dass dann der Rentenbeitrag vielleicht auf 20% ansteigen muss, irgendwann mal vielleicht auf 28% (also 14% für den Arbeitnehmer), während wir aber doch dann gegenüber dem Rest der Welt noch mal „wettbewerbsfähiger“ geworden sein werden, müsste doch dann kein Problem sein: Denn die übrigen 86% minus Steuern müssten dann wegen des höheren Wertes, den wir geschaffen haben, immer noch mindestens soviel wert sein wie ein heutiges Einkommen minus Rentenbeitrag und Steuern.

Abgesehen davon, dass wir ja schon heute, wenn wir (auch nach dem Vorschlag der neuesten Bertelsmann-Studie) sowieso auch noch riestern sollen, fast 14% in die Rente zahlen, wenn wir gesetzlichen und Riesterbeitrag zusammenzählen.

Ein unendliches Feld, ich weiss. Ich wünsche mir nur, dass die, die heute den „demographischen Wandel“ beklagen und morgen „mehr Wettbewerbsfähigkeit“ einfordern, beim einen auch immer das andere mitdenken, wenn sie mir ihre Modellrechnungen vorlegen.

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.