Hass, Wut, Rechthaberei: Warum das Thema Griechenland so unangenehm berührt

Natürlich ist Deutschland gespalten. Fatal gespalten.  Vor allem ist da diese große Mehrheit von Menschen, die erstaunlich empört und mittlerweile konsequent unduldsam gegenüber „den Griechen“ sind. Alles konsequente, harte, aber ehrliche Hunde. So wie es ihre Lieblingspolitiker Schäuble und Merkel sind. Wenn die so entnervt von den Griechen sind, die einfach nicht die Vorteile einer immer noch härter werdenden Sparpolitik verstehen wollen, werden die schon recht haben.

Viele sind allerdings alleine schon deshalb genervt, weil sie das Thema eigentlich gar  nicht so sehr mitnimmt. Viele wollen gar nichts mehr davon hören. „Es gibt doch wohl auch noch was anderes als Griechenland“, hört man auch auf vielen Redaktionskonferenzen.

Aber dennoch sind sehr, sehr viele Deutsche emotional engagiert. Und zwar sehr, sehr gegensätzlich. Da sind die, die es eher stammtischmäßig und vulgärökonomisch satt sind, noch einen Euro für die „Pleitegriechen“ zu zahlen, auch wenn bisher kein…..

ach was – es hat ja gar keinen Sinn, darüber noch zu debattieren und zu belehren  und wirtschaftswissenschaftliches Hirn vom Himmel zu erbitten. Wer von den Griechen genervt ist, WILL es letztlich einfach sein. Argumente dafür finden sich immer. Vieles stimmt ja. Korrupte Eliten, die das Land ausgeplündert haben. Unwillen, Steuern zu zahlen. Unfähigkeit, schnell und konsequent eine unbeugsame und effektive Steuerfahndung aufzubauen.

Aber dazu kommen in viel größerem Maße die Emotionen. Die zwar einerseits kaum als Sachargument überzeugen können. Andererseits aber stärker sind, und ab einem bestimmten toten Punkt in der Diskussion auch als zulässiges Alleinargument verstanden werden. Tspiras und Konsorten: sind doch sowieso linke Ideologen. Die haben gelogen. Denen kann man nicht vertrauen. Und warum sagen sie heute: Wir akzeptieren die neuen Bedingungen der anderen Euro-Staaten, und dann machen sie plötzlich wieder eine Volksabstimmung. Die sind doch völlig unberechenbar, man weiss nicht, woran man bei ihnen ist. Zwielichtige Leute.

Im Zweifelsfall steht in Deutschland der Feind sowieso immer links.

Auf der anderen Seite sind die, die ebenfalls sehr viele gute Argumente auf ihrer Seite haben. Wie oft ist es schon gesagt worden, und wieviel richtiges ist auch daran: Einem Land, so schuldig und so schludrig es auch gewesen sein mag, einen knallharten Sparkurs aufzuzwingen, um es in den Stand zu setzen, seine Kredite zurückzahlen zu können, ist einfach grundsätzlich ökonomischer Unsinn. Vereinfacht gesagt natürlich – überbordende Ausgaben und ein Riesendefizit im Haushalt müssen natürlich durch Sparen oder höhere Steuern bekämpft werden. Aber als eiserne Regel, die durchgesetzt werden muss, ob sie erfolgreich ist oder nicht, ist sie schlichtweg nur noch gaga bzw. reine Ideologie. Oder sogar bösartig und sadistisch.

Und da sind wir bei den Emotionen der anderen Seite: Es sind die Gefühle der Menschen, nicht nur in Griechenland, sondern auch anderswo, die das Vorgehen von Eurogruppe, EZB und IWF in seiner Eiseskälte und Mitleidlosigkeit nicht verstehen können. Einen gewählten Ministerpräsidenten mit einem Mischung aus Verachtung und Hass genüsslich immer mehr zu demütigen; ihm, der ja für einen Ausstieg aus der Sparpolitik gewählt wurde, schlimmere Bedingungen als vorher aufzudrücken, bis hin dazu, dass seine Regierung alle Beschlüsse, die die schlimmste Not ärmster Griechen lindern sollten, rückgängig machen muss: das ist für viele einfach rational, aber vor allem auch gefühlsmäßig unerklärlich. Deshalb zeigen sich viele, die diese Sicht auf die Ereignisse der letzten Tage haben, sehr oft „fassungslos“. Dieses Konsterniertsein wird dadurch angeheizt, dass die Gnadenlosigkeit von Handeln UND Sprache gegenüber den Griechen kaum widerlegbar etwas verächtliches, herrisches, herrenmenschenartiges an sich hat. Und noch schlimmer: von absoluter Undankbarkeit zeugt: Die, die nach Griechenland gekommen sind, das Land zerstört haben, Massaker angerichtet haben, den so Unterdrückten eine Zwangsanleihe abgepresst haben, die trotzdem von den Opfern wenige Jahre nach dem Krieg einen Schuldenschnitt bekamen – wie können die heute so selbstgerecht und empathielos handeln?

Diese Frontstellung aber gibt es schon, seit die Krise vor rund 5 Jahren begann. Mein Eindruck ist: Die Parteinahme für die eine oder andere Sicht hat sich in den letzten Monaten verstärkt. Vor allem die „Griechenhasser“ sind intensiver in ihren Gefühlsäußerungen geworden. Nachdem sie die Verteidiger einer solidarischeren Haltung zu Griechenland bisher relativ leicht moralisch in die Ecke treiben konnten, werden die „Hasser“ aggressiver und rüsten argumentativ auf. Der Schuldenschnitt 1953 für Deutschland? Ein historisch beschlagener Autor bei Bloomberg meint: Eben, weil die Deutschen diesen Schnitt verdient haben, die faulen Verschwendergriechen dagegen nicht! Dass Griechenland in den letzten Jahren kaputtgespart wurde – stimme nicht, es sei, dank der harten Austeritätspolitik, von der Troika streng aber gerecht überwacht, auf einem guten Weg gewesen. Erste Pflänzchen von Wachstum hätten sich gezeigt, es gab sogar einen Primärüberschuss, also hätte sich das ganze Elend der Rentner, der Arbeitslosen, der Kranken ohne Krankenversicherung am Ende gelohnt, wenn nicht die linken Chaoten am Ende das Pflänzchen grob wieder zertrampelt hätten.

So oder so: Beide  Seiten rüsten argumentativ auf. Es ist, meine ich, noch nie so viel zu Griechenland geschrieben worden, wie in den letzten Wochen. Noch nie so viel recherchiert worden. Noch nie so viel in die Historie geschaut worden. Liest man im Handelsblatt oder der Welt oder der FAZ, dann bekommt man manch gut scheinenden Grund dafür, warum man jetzt einfach Tacheles mit Tsipras reden musste und konsequent diese Dilettanten in Athen unter EU-Kuratel stellt, um noch schlimmeres zu verhindern. Da müssen die jetzt durch, und wenn die Renten noch weiter gekürzt werden müssen, und die Steuern weiter steigen, und die armen Leute wieder ohne Strom da stehen werden – ist’s unsere Schuld? Hättet ihr alles eingehalten, was wir von Euch verlangt haben, ginge es Euch längst wieder besser!

Dann reicht nur ein Blick in die FR oder den Spiegel oder auf einen Blog, bei dem man mit dem Elend der Menschen in Griechenland konfrontiert wird, um umgekehrt ohnmächtige Wut über die gnadenlose Exekution eines durchgeknallten Programms neoliberaler Ideologen zu bekommen. Und wenn man dann noch Artikel überwiegend nichtdeutscher Ökonomen, darunter Nobelpreisträger, über die Widersinnigkeit dieser Art von Wirtschaft liest, bekommt man wieder das Gefühl, dass man hier der Wahrheit näher ist, dass diese Sicht die realistischere, die empathischere, die zielführendere ist.

Auch wenn auch hier natürlich die Wahrheit nicht in den nicht mehr in Frage gestellten Gewissheiten liegt.

Leider haben wir im Moment zwei widersprüchliche absolute Wahrheiten auf dem Markt – und ich fürchte, die, die festgefügter, weniger selbstzweifelnd ist und die das mächtigste Land EU-Europas sehr selbstbewusst, selbstgewiss, selbstzufrieden und sehr rüde vertritt, darf derzeit die fast alleinige Richtschnur des Handelns in Europa sein.

Haben sie wenigstens manchmal ein schlechtes Gefühl? Einen leisen Zweifel, dass ihre Unbeliebtheit bei denen, die eine andere Wahrheit für plausibler halten, doch auch ein wenig begründet sein könnte? Blutet Angela Merkel heute immer noch manchmal das Herz, wenn sie vom Leiden der Menschen in Griechenland hört? Aus dem Verhalten dieser gutgekleideten und gutbesoldeten deutschen, finnischen, niederländischen und anderen europäischen Akteure auf der Medienbühne habe ich bisher keinerlei Signale irgendwelcher Empathie ausmachen können.

 

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