„Die Griechen werden ihre Schulden nie zurückzahlen“ – aber wer sonst tut das?

Was mich an dem vielen, was über Griechenland gesagt und geschrieben wird, immer wieder frappiert, ist die Ahnungslosigkeit vieler, die die Lage des Landes und das Verhalten seiner Politiker kommentieren. Eine Meinung von vielen dieser sich genervt zeigenden Beobachter ist das resigniert-wütende: „Die Griechen werden ihre Kredite sowieso nie zurückzahlen – das Geld ist weg!“

Beispiel Neue Zürcher Zeitung 16. Juni 2015: „Ein Bondhändler meinte, allmählich sei man gegenüber Meldungen aus Griechenland abgestumpft. Zu oft seien Ultimaten verschoben, Tranchen erlassen und neue Zwischenfinanzierungen ermöglicht worden. Er glaube, dass sich die Erkenntnis durchgesetzt habe, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen werde“.

Diese Sicht darauf unterstellt immer, dass anders als diese windigen Griechen alle anderen Staaten dieser Welt fleissig dabei sind, ihre Schulden abzutragen.

Aber: Zahlt etwa Deutschland die fast € 2,2 Billionen zurück, mit denen die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern, Kommunen in der Kreide stehen? Oder die Schweiz ihre 219 Milliarden Franken (2013)? Oder die USA ihre $ 18,2 Billionen?

Damit will ich ja gar nicht sagen, dass die wirtschaftliche Situation Griechenlands nicht ganz anders ist als die dieser Staaten, die keine tiefgreifende Krise durchleben müssen. Die Verschuldung Griechenlands im Vergleich zu seinem Bruttoinlandsprodukt ist viel höher als das entsprechende Verhältnis in Deutschland. Ich wundere mich nur über das erschreckend niedrige wirtschaftliche Grundwissen vieler nicht nur einfacher Menschen, sondern auch von Politikern, Journalistenkollegen bis hin zur traurigen Zunft deutscher Ökonomen, die offenbar glauben, anders als Griechenland würde Deutschland regelmäßig reinen Tisch machen und die ganzen Schulden, die aufgelaufen sind, einfach mal zurückzahlen. Das ist auch ökonomischer Unsinn, weil anders als im Privatleben, wenn ich einem Freund € 1000 leihe (die ich gerne wiederhätte, weil ich sie selbst jetzt mal gut brauchen kann), die Kreditgeber nicht freudig darauf warten, dass sie endlich ihre verliehenen Milliarden wiederkriegen. Was sollen sie auch mit dem ganzen Geld – Pensionsfonds, Lebensversicherungen, Staatsfonds sind doch froh, wenn sie Staaten haben, die ihr Geld leihen wollen und dafür Zinsen zahlen.

Deshalb bekommt Deutschland jederzeit, wenn eine Staatsanleihe ausläuft, die es zurückzahlen muss, mit Kusshand wieder neue Kredite. Mit denen werden die auslaufenden bezahlt – eine Horrorvorstellung für jede schwäbische Hausfrau, für die „Schulden“ von „Schuld“ kommt, aber gang und gebe in der Staatenfinanzierung. Die Geldgeber, die ihr Geld immer verliehen haben wollen, verdienen an den Zinszahlungen, die die Staatshaushalte sich in der Regel mehr oder weniger gut leisten können.

Das einzige große Problem dabei ist für Griechenland, dass es so leicht eben keine neuen Kredite mehr bekommt, um auslaufende abzulösen. Weil seine Wirtschaftsleistung eben so schwach ist. Deshalb gibt es dann jedesmal dieses Gezitter darum , ob es noch in letzter Sekunde mal wieder Geld bekommt. Um genau das zu tun, was eben alle anderen Staaten der Welt auch tun – die Schulden nicht zurückzuzahlen, sondern weiter in die Zukunft durchzureichen.

Auch das sind „Zwischenfinanzierungen“ auf dem Weg bis zur Rückzahlung der deutschen, Schweizer, japanischen, amerikanischen Staatsschulden am St.-Nimmerleinstag.

Genau daher ist es so nervig, wenn dann all die Forenschreiber bei Spiegel.de, welt.de, faz.net etc. mit ihren virtuellen Fingern auf den Tisch trommeln und sich wohlfeil aufregen: „Jetzt muss endlich mal ein Ende damit sein“. Oder ein Schweizer Bondmanager über „zu viele Zwischenfinanzierungen“ schimpft. Sie alle wissen offenbar selbst gar nicht, was sie da verlangen: Ausgerechnet das wirtschaftlich krisengeschüttelte Land soll seine ganzen angelaufenen Schulden abtragen;  etwas, was nichtmal die wirtschaftlich stärksten Länder der Welt wie Deutschland oder die USA zustandebringen können.

(Manchmal, aber nur manchmal, meine ich, wird doch darauf hingewiesen, dass es noch viel größere Schuldner in der Welt gibt als Griechenland).

Nachtrag 17.06.: Nur um nochmal zu illustrieren, dass so viele Menschen so denken, wie ich es beschrieben habe: Ein Forumseintrag auf tagesschau.de von heute (alle Topoi dabei: „Fass ohne Boden“, „in 100 Jahren nicht zurückzahlen“ und mein vorher erwähnter „St.-Nimmerleinstag“, an dem eben nicht nur die griechischen Schulden endlich zurückgezahlt werden, sondern auch alle anderen)

Tagesschau.de17.06.2015

Nachtrag 2 20.06.: In der Wochenend-Taz 20./21. Juni wird das Wort „Schäublisti“ vorgestellt: „Das sind, italienisch gesprochen
und grob gesagt, Leute aus Deutschland, die wollen, das
Griechenland seine Schulden zahlt. Vor genau 90 Jahren lagen
die Dinge noch anders. Da sagte der deutsche Außenminister
Gustav Stresemann: „Man muss nur genug Schulden haben, man
muss so viel Schulden haben, dass der eigene Gläubiger seine
eigene Existenz mitgefährdet sieht, wenn der Schuldner zusammenbricht.“ Andreas Botsch, Mitarbeiter von DGB-Chef Reiner Hoffmann, nimmt bezug auf die taz und schreibt:

„Der Fachbegriff ‚Schäublisti‘ ist italienisch und bezeichnet Menschen, die wollen, dass alle ihre gesamten Schulden zurückzahlen. Staaten, Unternehmen, Haushalte. Interessant. ‚Schäublisti‘ erfinden also ganz nebenbei die Mathematik neu. Oder sie sind geheime Anarchisten, die ein Netting Out betreiben wollen, d.h. Verbindlichkeiten und Forderungen mit einem Federstrich auf Null setzen (diese Null ist nicht schwarz und auch nicht rot, einfach eine Null). Aber nicht, dass das Spiel dann wieder von neuem beginnen könnte. Weil dann das wahre Ziel der Schäublisti zum Tragen käme: keine neuen Schulden mehr, nirgends, und für niemanden. Dafür muss eine Schuldenbremse für alle her. Die ja auch eine Bremse der entwickelten Geldwirtschaft, eine Arbeitsteilungsbremse und eine Handelsbremse ist. Und jeder stellt alles selbst her, was er braucht. Oder betreibt reinen Tauschhandel. Die Schäublisti sind wahre Anarchisten. Ob Schäuble das weiß?“

3 Gedanken zu „„Die Griechen werden ihre Schulden nie zurückzahlen“ – aber wer sonst tut das?

  1. Es bleibt abzuwarten, welche Entwicklung das ganze in Zukunft noch nehmen wird. Aktuell glaube ich allerdings auch, dass ein Schuldenabbau bei der Situation gar nicht möglich ist.

  2. Sie meinen Schuldenabbau, schreiben aber von Rückzahlung. Das sind unterschiedliche Dinge. Den Kredit von A kann ich zurückzahlen, indem ich einen Kredit von B aufnehme. Das kann Griechenland nicht. Es bedient Kredite von A mit einem Kredit von A.
    Warum glauben Sie, dass die von Ihnen kritisierten Politiker, Journalisten etc den gleichen Fehler machen? Und natürlich gibt es größere Schuldner. Die haben aber in der Regel eine funktionierende Wirtschaft. Es ist doch wie im Alltag: Wer gut verdient bekommt eher einen großen Kredit als ein armer Schlucker.

    • Natürlich sind Schuldenabbau und Zurückzahlung von Kreditraten etwas unterschiedliches. Ich gehe nur davon aus, dass viele meinen, dass die Misere Griechenland unter anderem daran liegt, dass das Land soviele Schulden hat (etwa. € 400 Mrd.), die es nicht zurückzahlen kann. Ich belege das ja auch mit diversen Aussagen, die ich so interpretiere. Ich denke, ein Land kann sehr gut mit einem hohen Schuldenstand leben, wenn seine Wirtschaft floriert und wenn es sich die Zinszahlungen leisten kann. Und natürlich, wenn es immer wieder neue Kredite bekommt, sonst bricht alles zusammen. Auch Griechenland hat bisher immer am Ende Kredite bekommen, vor allem von den europäischen Rettungsfonds und vom IWF. Die hat es bisher auch immer zurückgezahlt; auch die Zinsen (€ 360 Mio. etwa letztes Jahr an Deutschland). Deshalb ist es auch nicht richtig, zu sagen, Kredite fielen in ein „Fass ohne Boden“ oder ein „schwarzes Loch“. Sie werden zu Ablösung fälliger Kredite verwendet (so wie bei uns auch) und vermeiden die Insolvenz. Die tritt ein, wenn Griechenland kein Geld mehr geliehen bekommt. (Auch Deutschland wäre wahrscheinlich insolvent, wenn plötzlich die Kreditgeber verlangten, wir sollten unsere € 2,2 Billionen jetzt endlich mal zurückzahlen).

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