Gleichheit, Gerechtigkeit, Gutsein – ist das vielleicht alles doch nicht so schlimm?

Mittlerweile sehen es selbst grausamste Wettbewerbs-Anhänger ein, dass die Lohnschraube nach unten überdreht ist. Sogar die FDP zeigt sich seit neuestem offen dafür, irgendeine Art von gesetzlich verbindlichem allgemeinem Mindestlohn einzuführen. Das Argument, dass ein gering qualifizierter, vielleicht auch relativ fauler Hilfsarbeiter nicht genügend weniger verdienen könnte als ein Leistungsträger, aktiviert kaum mehr spießbürgerliche Ressentiments, denn mittlerweile könnte es manch einem, der seit den 80ern oder 90ern mehr „Lohnzurückhaltung“ und Lohnkürzungen für Minderleister gefordert hatte, fast ein bisschen peinlich sein ob der Erfolge, die man seitdem hatte. Dass jemand, der Vollzeit arbeitet, davon nicht leben kann – das richtig zu finden, so forsch will kaum einer sein.

Deutschland, so fasst es mancher zusammen, rückt also nach „links“. „Linke“ Themen wie Mindestlohn, Atomausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht, Abschaffung der Hauptschule, Finanztransaktionssteuer und die Homoehe werden, unter großen Druck von Angela Merkel, von Union und FDP übernommen; und die SPD ärgert sich, dass all diese ihre Asse möglicherweise bei der Bundestagswahl nicht stechen werden. „Die springen auf unsere Themen“, sagt Peer Steinbrück, aber es klingt eher vergrätzt als triumphierend. Denn er muss fürchten, dass Angela Merkel damit Erfolg haben wird.

Ach ja, und die Studiengebühren – dieses konservativ-liberale Projekt des ersten Jahrzehnts dieses Jahrtausends – werden bald verschwunden sein. Auch das ist ein politischer Erfolg von SPD, Grünen und Linkspartei. Und aus G8 wird wieder vielfach G9 – derzeit zum Beispiel in Hessen.

Diese massive und schnelle Aufgabe so vieler Bastionen hat schon etwas atemberaubendes.

Niemand zwingt ja konservative Politiker, Marktgläubige, Privatisierungsanhänger, ihre jahrzehntelangen Glaubenssätze und ihre davon geleitete Politik zu verraten. Aber: sie tun es erstaunlich entspannt, leichtgängig und führen plötzlich Sätze im Mund, die ihnen früher schon aus Abneigung gegen alles „Linke“ nicht über die Lippen gekommen wären.

Die medialen Begleiter schwarz-gelber Politik, die bisher linkes „Gutmenschentum“, „soziale Wohltaten“, „Schuldenmacherei“ usw. gerne angeprangert haben, bekommen nun ein großes Problem. Denn solche Begriffe sind ja stets polemisch aufgeladen und übertreiben den Kern dessen, was sie anklagen, bis hin zur Verfälschung und Unkenntlichkeit. Sie einem Gabriel, einem Wowereit, einem Trittin, einem Gysi  immer wieder vorzuhalten, macht ja grimmiges Vergnügen. Aber: wie diejenigen im eigenen Lager, die sich nun diesen linken Unsympathen immer mehr inhaltlich annähern, aus dem Feuer herausnehmen?

Nun, manche konservativen Medien machen diesen Schwenk sogar mit, zumindest teilweise. Die FAZ etwa. Auch die „Welt“ hat sich ja in den letzten Jahren einige Autoren geholt, die aus der „Neuen Frankfurter Schule“ oder grünem, sogar Ex-KBW-Milieu stammen.

Aber nicht jeder und jede möchte bei der Linkswende mitmachen. Andrea Seibel gab in der „Welt“ ihrem Artikel darüber die Überschrift: „Rot-grüne Intensivmassage der Volksseele“a>. Rote und Grüne hatten also demzufolge Erfolg mit ihren Themen bei den Wählern. Das „Volk“ verweigert den aus Sicht neoliberaler Reformer allerorten notwendigen „Wettbewerb“ und die selbst in der Pubertät abzuverlangende höchste Leistungsbereitschaft.

Was ich spannend daran finde: Seit etwa 20 oder 25 Jahren durch intensiven ideologischen Beschuss waidwund geschossene Begriffe könnten eine unerwartete Renaissance haben; sie könnten möglicherweise ihren ursprünglich positiven Wortsinn wieder erhalten.

„Gleichheit“ kann man in Deutschland dank dieser negativen Umwertung kaum mehr verwenden, ohne die fest daran geheftete „Gleichmacherei“ mitzudenken. Die „Welt“-Journalistin hat dieses hoffentlich gerade sich auflösende Ideologem noch verinnerlicht, genervt meint sie: „Dass Unterschiede und auch Ungleichheiten zum menschlichen Leben gehören, ist in Deutschland immer negiert worden. Chancengleichheit wird schnell zur Ergebnisgleichheit umgedeutet. Gleichheitsimpulse führen zur „Vergerechtlichung“, wie der Jurist und Schriftsteller Bernhard Schlink schon vor Jahren feststellte“.

Aber solche eigentlich unsinnigen, weil unlogischen Sätze, werden zunehmend (hoffe ich) nicht mehr einfach nachdenklos hingenommen. (Dass sich jetzt selbst Union und FDP dafür öffnen, dass Menschen, die bisher nur € 5 oder € 6 pro Stunde verdienen, vielleicht € 7,50 oder € 8,50 Mindestlohn bekommen sollten, und VW-Chef Winterkorn auf einige Millionen Gehalt verzichtet, führt ja nur für ideologisch überdrehte Kritiker  zu einem Ende der Ungleichheit in Deutschland)

Wenn das gute alte Wort „Égalité“ wieder einfach das meint, was es nunmal bedeutet, wäre das schön. Einfacher hat es das Wort „Gerechtigkeit“ – das ist ja mittlerweile längst rehabilitiert und hat gegenüber dem „Wachstum“ und dem „Hauptsache, man hat einen Arbeitsplatz“ wieder an Gewicht gewonnen. Mich persönlich würde noch freuen, wenn im Zuge dieser Entwicklung auch noch der unsägliche „Gutmensch“ als Gemeinheit einfach verschwände – und wieder durch den „guten Menschen“ ersetzt würde – der zu sein ja hoffentlich jeder versucht.


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