Färberwaid – das blaue Wundermittel aus dem Osten?

Ein Beitrag fürs hr-Regionalprogramm in Fulda 1991

Ein wenig sieht sie dem Löwenzahn ähnlich – die Pflanze „Isatis Tinctoria“, auf deutsch: das „Färberwaid“. Der Laie wird es auf einer Wiese kaum von anderen Kräutern unterscheiden können – und doch war das Färberwaid im Mittelalter Thüringens wichtigster Export-Artikel. Aus ihm wurde ein damals überall begehrter blauer Textil-Farbstoff gewonnen. Wenn es nach einem Malermeister aus Thüringen geht, wird die Pflanze eine neue Zukunft erhalten – diesmal als Grundstoff für zahlreiche umweltfreundliche Anwendungen.

Vor elf Jahren entdeckte Wolfgang Feige, Malermeister in Neudietenbach bei Erfurt, in einem Heimatmuseum eine Pflanze, von der er zwar schon einmal gehört, die er aber noch nie gesehen hatte: Das Färberwaid. Im Mittelalter standen die Felder voll mit dem Kreuzblütler, denn damals wollte ganz Europa den blauen Farbstoff, den man aus ihm herstellte. Aber seit aus Indien Farben in großem Stil importiert wurden, geriet das Färberwaid in Vergessenheit. Wolfgang Feige nun gab nicht eher Ruhe, bis er sich einige Samenkörner besorgt hatte. Dann versuchte er, die mittelalterlichen Arbeitsmethoden nachzuvollziehen. Die erste Ernte war eine Enttäuschung:
„Nach dieser Ernte wollte ich nun versuchen, daß ich gleich blau rausbekam. Das klappte natürlich nicht, sondern es hat insgesamt circa 3000 Versuche gebraucht und sechseinhalb Jahre gedauert, bis ich das erste Blau überhaupt hatte“
Aber – die dreitausend Versuche waren nicht umsonst. Feige entdeckte jede Menge andere Farbtöne für Textilien, und vor allem etwas, wovon er als Malermeister profitieren konnte:

„Ich bemerkte immer mehr, dass man andere Farbtöne herausbekam für Textilien, nur nicht blau. Ich bemerkte, dass es an Holz hielt. Probierte Holzfarben, erst nur für mich, und dann haben wir auch Anstriche gemacht – inzwischen haben wir über 120 Fassaden gestrichen, die die herrlichsten Farben haben und die eine lange Haltbarkeit haben“.

Leuchtende Farben, und das ganz ohne gefährliche Lösungsmittel, das war der erste Erfolg von Feiges Versuchen. Die zweite Entdeckung machte er beim Pressen der gegorenen Waidblätter in einem Bottich:
„Bei diesem Pressen bemerkte ich mit einemmal, daß es auch eine Heilwirkung hat für entzündete Hände; ich hatte sehr viel entzündete Hände durch Kalkanstriche und Lösungsmittel aus meinem Beruf, aus meinem Malerberuf, und über Nacht verschwanden die Entzündungen“

Wolfgang Feige wandte sich an verschiedene Forschungsinstitute in der damaligen DDR, und man wurde aufmerksam auf seine Entdeckungen. Schließlich landete er beim Chemie-Kombinat in Bitterfeld:

„Dort wollte man ganz schnell Geld verdienen und wollte künstlich herstellen, was ich empirisch und natürlich mit den Pflanzen machte. Man wollte also über die Akademie der Wissenschaften in Halle herausfinden, wie man bestimmte Wirkstoffe isolierte, das hat man auch getan, nur das Ergebnis ist immer fehlgeschlagen“.

Auch die Zusammenarbeit mit medizinischen Fakultäten blieb schwierig – die wissenschaftliche Arbeit wurde durch die Geheimhaltungsmanie der DDR-Behörden stark behindert. Dennoch machte Wolfgang Feige weiter eigene Versuche:

„Ich habe einen Tee hergestellt, habe Tinkturen hergestellt, alles für die verschiedensten Krankheitsformen. Das haben wir ausprobiert mit Ärzten und anderen Wissenschaftlern – zwischenzeitlich haben wir mit einemmal auch noch ein Öl gefunden, ein ganz kostbares Öl, dafür haben wir eine Analyse, dass es also sehr hochwertig ist und für die Medizin einsetzbar: Diese Wirkstoffe der Waidpflanze schlagen auf circa 20 Krankheiten an: Hauptsächlich Hautkrankheiten, Ekzeme, selbst Flechten, dann aber auch Magen, Darm, Stuhlgang, bis hin zu noch schwierigeren Krankheiten.“

Im Westen war davon kaum etwas bekannt, nicht zuletzt dadurch, daß Wolfgang Feige massiv von der Stasi abgeschirmt wurde. Immerhin aber bekamen Wissenschaftler von der Fachhochschule Fulda, die heimlich mit thüringischen Öko-Gruppen zusammenarbeiteten, schon vor der Wende Kontakt mit dem heute 61-jährigen Malermeister. Professor Friedhelm Diel vom Fachbereich „Haushalt und Ernährung“ bot damals schon Untersuchungen in den Labors der FH an:

„Mit der Wende dann und mit der Öffnung der Grenzen hat sich diese Zusammenarbeit intensiviert – wir haben von ihm die Präparate bekommen, die Pflanze, Extrakte und Tinkturen, auch Tees und andere Rezepturen und haben die in kleinen Studien auch schon untersucht“.

Im Augenblick läuft eine Tee-Studie mit Studenten der FH Fulda. Sie trinken täglich einen Tee aus der Waidpflanze und lassen sich regelmäßig durchchecken. Professor Diel zieht bereits erste Rückschlüsse auf die heilbringenden Wirkungen des Färberwaids:

„Das sind ganz konkret, (…) so wie sie aus der Alten Literatur auch schon bekannt geworden sind, erstmal die Wirkungen bei der Wundprophylaxe äußerlich und innerlich, also zum Beispiel Leute mit Magengeschwüren können hier wunderbar profitieren. Das sind aber auch Wirkungen, wie wir sie vermuten, in Richtung der Stabilisierung des Immunsystems. Bei Milzerkrankungen scheint die Pflanze sehr wirkungsvoll zu sein, aber auch zur Eindämmung bösartiger Wucherungen, wobei wir hier natürlich noch keine Studien machen konnten“.

Es fehlt noch an Mitteln von Bund, Land und Forschungsstiftungen, gerade wo viele Gelder für den wirtschaftlichen Aufbau der Ex-DDR benötigt werden. Dabei hält Professor Diel das Färberwaid ideal geeignet für eine ganzheitliche Nutzung. Es soll umweltverträglich angebaut und nicht nur einzelne gewinnversprechende Bestandteile genutzt werden, wie es die DDR-Chemie-Industrie wollte:

„Die Gewinnung der Rohstoffe soll nicht so laufen, daß man massenweise hier selektiert, einzelne Stoffe pharmazeutisch herausstellt, sondern die Harmonie der Pflanze, ihre Wirkharmonie, ihr Wirkprofil erhält, daß man nach alten Rezepturen die Präparate gewinnt „.

Fazit: das Färberwaid könnte ein effektives Naturheilmittel sein – vor allem bei Hautkrankheiten und Allergien. Man gewinnt zudem umweltfreundliche und dennoch sehr wirksame Holzschutzmittel und Farben aus ihm. Und: Versuche an der Deutschen Bücherei in Leipzig haben ergeben, daß man mit der Waidpflanze auch alte
Bücher und Pergamente konservieren kann. Heilbringend könnte sie auch für die braunkohleverseuchte und mit giftigen Altlasten am Boden liegende Thüringer Industrie werden. Denn wenn sich Wolfgang Feiges Vorstellungen verwirklichen sollten, werden demnächst wieder wie im Mittelalter in den Dörfern und Städten des Thüringer Beckens riesige Färberwaidfelder wogen. Immerhin zehn Hektar werden in diesem Jahr schon bestellt. Beißen die noch zögernden Unternehmer an, etwa auf der morgen beginnenden Hannover-Messe – der Neuentdecker der Waidpflanze hat einiges zu bieten:

„Insgesamt habe ich über 400 Rezepturen im Kopf, die ich auf dem Gebiet der Farben, der Medizin nachvollziehen kann.“

Gesendet am 9. April 1991 im „hr4 Osthessenjournal“

 

7 Gedanken zu „Färberwaid – das blaue Wundermittel aus dem Osten?

  1. Hallo,
    ich komme aus Mittelasien und kenne Waid (Us’ma) sehr gut – vor allem als Augenbrauen- und Wimper-Pflege. Wo könnte man bloß das wunderbare Öl erwerben? Leider habe ich bis jetzt nichts gefunden…
    Vielen Dank!
    madis

    • Liebe(r) Madis,
      Das weiss ich leider auch nicht. Es ist ja lange her, dass ich diesen Beitrag gemacht habe. Ich könnte auch nur googeln, und werde es dann auch nicht besser herausfinden können als Du selbst. Auf Anhieb habe ich dabei auch keine Bezugsquelle für solches Öl finden können.
      Viele Grüße
      Christoph

  2. Liebe Angelika,
    Da habe ich auch keine Spezialinformationen. Aber wenn Du googelst „isatis tee kaufen“, dann erscheinen da eine ganze Menge Links von Kräuterhäusern, Apotheken und so weiter!
    freundliche Grüße zurück, Christoph

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